Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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An der Grenzlinie

Im Zuge der steigenden Flüchtlingszahlen gerät die Politik zunehmend unter Druck. Um den Schleusern das Handwerk zu legen und die illegale Migration in den Griff zu bekommen, führte Deutschland vergangene Woche flexible Kontrollen an der polnischen und tschechischen Grenze ein. Die ursprünglich angekündigten stationären Grenzkontrollen trafen in der Wirtschaft auf Widerstand – zu groß seien die negativen Folgen für den Warenverkehr.

Als die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) Anfang letzter Woche zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität und Eindämmung der illegalen Migration stationäre Kontrollen an den deutschen Grenzen zu Polen und Tschechien ankündigte, stieß dies keineswegs allerorten auf Unterstützung. Gegenwind kam vor allem aus der Wirtschaft. So warnte der Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Volker Treier, vor den negativen Folgen für Geschäftsleute, Berufspendler oder Touristen: „Stationäre Kontrollen bringen den Reise- und Warenverkehr zwar nicht zum Erliegen, führen aber zwangsläufig zu Verzögerungen“, wird Treier vom „Handelsblatt“ zitiert. Die Politik müsse hier „sehr sensibel“ vorgehen. „Das Ziel, die Schleuserkriminalität zu bekämpfen, sollte man im Blick behalten, aber auch, die Lieferungen unserer Exporteure zu gewährleisten und Just-in-time-Lieferungen in konjunkturell angespannten Zeiten nicht zu verteuern“, so Treier weiter.

Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), rechnet bei einer Schließung der Grenzen gar mit einem „enormen wirtschaftlichen Schaden für Deutschland“, wie er dem „Handelsblatt“ sagte. „Grenzkontrollen würden Lieferketten zerstören und Unternehmen müssten ihre Logistik komplett neu planen“, warnte er. Hinzu kämen Tausende von Berufspendlern, die jeden Tag zur Arbeit über die Grenze fahren müssen, was auch den Unternehmen einen „erheblichen Schaden bei Fachkräften“ zufügen würde.

Flexibel statt stationär

Bundesinnenministerin Faeser scheint sich die Einwürfe aus der Wirtschaft nicht überhört zu haben, denn nur wenige Tage nach ihrem Vorstoß schwächte sie ihren Plan wieder ab: Die stationären Kontrollen – wie es sie seit Herbst 2015 bereits an der Grenze von Bayern zu Österreich gibt – sind (erstmal) vom Tisch; stattdessen soll es nun lediglich „erweiterte flexible Kontrollen“ an der deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Grenze geben. Die Bundespolizei nehme „ab sofort zusätzliche flexible Schwerpunktkontrollen an den Schleuserrouten an den Grenzen zu Polen und Tschechien vor“, erklärte Faeser bei einer Pressekonferenz im Anschluss an eine Befragung im Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Die neuen Kontrollen würden „sowohl im Grenzgebiet als auch zeitweise unmittelbar an der jeweiligen Grenzlinie“ stattfinden und die bisher praktizierte Schleierfahndung ergänzen. „Wir wollen durch flexible und mobile Kontrollen an wechselnden Orten Ausweichbewegungen der Schleuser verhindern“, so die SPD-Politikerin weiter. Zugleich sorge man dafür, „dass die Kontrollen im Alltag so wenig wie möglich Auswirkungen auf die Menschen, auf Pendler und auf den Handel haben“.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser während einer Regierungsbefragung im Deutschen Bundestag in Berlin am 20.09.2023
Foto: Deutscher Bundestag/Sebastian Rau/photothek

Auswirkungen von Grenzkontrollen

Tatsächlich spielen die Auswirkungen von Grenzkontrollen nicht nur im politischen Diskurs eine wichtige Rolle, sondern werden auch in der Wirtschaftswissenschaft eingängig erforscht. Neben der offensichtlichen Auswirkung von Verzögerungen im Warenverkehr, die zu Produktions- und Lieferkettenstörungen sowie zu höheren Lagerkosten führen können, ist in der Folge auch ein Rückgang des Handelsvolumens zwischen den beteiligten Ländern nicht auszuschließen: Unternehmen könnten sich in grenzüberschreitenden Geschäften zögerlicher engagieren, was zu einem insgesamt geringeren Handelsaustausch führen könnte.

Zu langen Staus an den deutsch-polnischen beziehungsweise deutsch-tschechischen Grenzübergängen wird es wohl vorerst nicht kommen.
Foto: Qubes Pictures/pixabay.com

Laut einer Studie des ifo-Instituts, die im Jahr 2016 im Kontext der damaligen Flüchtlingskrise in Europa durchgeführt wurde, würde „eine Wiedereinführung der Grenzkontrollen im Schengen-Raum die bilateralen Warenexporte je Grenzübertritt um circa 2,7 Prozent reduzieren“. Dies entspräche einem Zolläquivalent von 0,54 Prozent und gälte ebenso für Warenimporte. Laut der Forscher würde die Wiedereinführung von Kontrollen an den Flüchtlingsrouten (im Falle der besagten Studie waren dies die Routen über den Balkan oder Italien) für Deutschland zu BIP-Einbußen zwischen einer Milliarde und drei Milliarden Euro jährlich führen. Wohlgemerkt: Diese Zahlen beziehen sich auf die Situation im Jahr 2016; für den bilateralen Handel Deutschlands mit Polen beziehungsweise Tschechien dürfte die Tendenz bei der Einführung von strikten Grenzkontrollen aber in eine ähnliche Richtung gehen.

Angesichts der aktuell schwachen Konjunktur in Deutschland – die deutsche Wirtschaft wird im laufenden Jahr wohl um 0,6 Prozent schrumpfen – sind die Unternehmen ohnehin nervös. Die Einführung von stationären Grenzkontrollen würde ihre Unruhe sicherlich noch verstärken.

ln

Illegale Migration an deutsch-polnischer Grenze
Im ersten Halbjahr 2023 registrierte die Bundespolizei an der deutsch-polnischen Grenze 12.331 illegale Einreisen. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 4.592. In den allermeisten Fällen handelt es sich dabei um Asylsuchende aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder der Türkei. Bis heute werden in der Grenzregion jeden Tag Dutzende eingeschleuste Migranten aufgegriffen.

Titelfoto: Andreas Vogel/wikimedia.org

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