Nur der Himmel ist geblieben
Das Buch „Alles, was wir nicht erinnern“ von Christiane Hoffmann ist in diesem Jahr erschienen und erreicht schon die 3. Auflage. Der Untertitel erklärt die Idee des Buches oder besser gesagt, das Unterfangen der Autorin: „Zu Fuß auf dem Fluchtweg meines Vaters“. In einem Europa, das von unterschiedlichen Strömen von Flüchtlingen durchzogen ist, wundert die Popularität des Buches nicht. Tatsächlich kann man beim Lesen des schönen literarischen Werks zwischen der Flucht auf einem Pferdewagen bei ständigem Informationsmangel über die Nächsten, über die Front, über die Lage in der Heimat direkt vergleichen mit der Flucht in Autos und Zügen, mit Internet und dem Überfluss an Informationen. Aber Flucht bleibt immer Leid, Verbitterung, Verlust und Sehnsucht, Ratlosigkeit, Trennung von den Männern und Vätern.
Christiane Hoffmann versucht den Weg ihres Vaters, der damals als 9-jähriges Kind flüchten musste, nachzugehen, um nach 75 Jahren die Spuren und Gefühle zu rekonstruieren. Für die Autorin ist das umso wichtiger, da ihr Vater ihr sehr wenig von seinen Gefühlen und Erinnerungen erzählt hat. Trotzdem oder gerade deswegen erlebte die schon längst nach dem Krieg geborene Tochter die Flucht und die schlesische Heimat des Vaters als etwas Geheimnisvolles. Sie sammelte die Erinnerungen bei anderen Familienmitgliedern und Schlesiern aus Rosenthal/Różyna bei Brieg. Über den Vater sagte sie: „Ihr habt alles verloren, aber du willst nicht Opfer sein. (…) Du willst nie wieder bedürftig sein (…).“ Aber den Bedarf nach der angestammten Heimat, sie zu haben oder zu verstehen, warum sie nicht vorhanden ist, trägt die Tochter nach dem Tod des Vaters in sich.
Durch den Weg auf den Spuren der damaligen Flucht versucht sie, die Polen und Tschechen, die heute in den deutschen Häuser wohnen, und ihre Meinungen kennenzulernen. Oft entdeckt sie eine skeptische Einstellung zur EU, dazu eine gleichgültige, oft auch abgeneigte Betrachtung der Deutschen und versucht, sie zu verstehen. Was aber aus den Seiten des Buches mehrmals herausstrahlt, ist die Entdeckung, dass Heimat nichts mit Geografie zu tun hat: „..der Besitz war ja nicht der eigentliche Verlust, sondern das, was sie Heimat nennen, die unzähligen kleinen Vertrautheiten, die Gerüche, Farben, Bilder…“.
In dem Buch fand ich die Meinung eines Mitglieds unserer Organisation aus Allenstein, der sagte: „Wir sind geblieben in Allenstein, aber von der Heimat ist nur der Himmel geblieben“. An diese Worte muss ich denken, wenn die zerstörte Ostukraine in den Nachrichten gezeigt wird: Was wird von der Heimat der gegenwärtigen Flüchtlinge bleiben?
Bernard Gaida
Titelfoto: Der Himmel über Allenstein (Foto: Mazaki/wikimedia.org)