Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Die Minderheit muss sich ein Mandat erkämpfen

 

Rudolf Urban spricht mit Prof. Dr. Adam Drosik, Politikwissenschaftler und Dekan der Fakultät für Politikwissenschaft und soziale Kommunikation an der Universität Oppeln, über den diesjährigen Wahlkampf für den Sejm und den Senat, die Chancen der deutschen Minderheit, zwei Sitze zu erringen – und darüber, was nach dem 15. Oktober passieren könnte.

Man könnte meinen, dass dieser Wahlkampf besonders brutal ist, aber ist er das wirklich?

Zuweilen ist er widerwärtig in Bezug auf die Sprache und die Argumente, die im Sprachgebrauch von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens nicht vorkommen sollten. Er überschreitet inakzeptable Grenzen und lässt damit eine bestimmte Argumentation bei den Wählern zu, denn schließlich kommt das Beispiel von oben. Natürlich sind es nur Einzelne, die auf solche Formen zurückgreifen, aber mir wäre es lieber, wenn es nicht einmal diese Einzelnen gäbe. Es gibt Dinge, die wir einfach nicht tun sollten, und diese Kampagne ist ein weiteres Beispiel für die Abweichung von gewissen Standards.
Bei den anderen Elementen ist es eher business as usual. Je näher der Wahltag rückt, desto mehr Banner und Plakate werden zu sehen sein, und die Kandidaten selbst werden versuchen, ihre Kandidatur noch stärker zu betonen.

Unterscheidet sich der Wahlkampf in der Woiwodschaft Oppeln von dem in anderen Regionen Polens, weil es dort eine deutsche Minderheit gibt?

Grundsätzlich nicht, wir haben hier den gleichen Wettbewerb um Stimmen wie in anderen Regionen. Der Unterschied besteht nur darin, dass es in der Woiwodschaft Oppeln einen zusätzlichen Akteur gibt – eben die deutsche Minderheit. Die deutsche Minderheit ist in der Region fest verwurzelt und ein wichtiger Akteur auf der regionalen politischen Bühne, sie hat eigene Bürgermeister und Landräte und regiert die Region seit 1998 ununterbrochen mit. Früher war sie im Parlament stärker vertreten, heute hat sie einen Abgeordneten und vielleicht werden es zwei. Die Minderheit ist hier also ein zusätzlicher Akteur, der aber auf die gleiche Weise um Stimmen kämpfen muss. Die Minderheit muss die Fünfprozenthürde auf nationaler Ebene nicht überschreiten, wohl aber auf Wahlkreisebene, das heißt in der Woiwodschaft Oppeln. Realistisch gesehen muss die Minderheit etwa neun bis zehn Prozent der Stimmen erhalten, um bei der Verteilung der zwölf Mandate überhaupt berücksichtigt zu werden. Es gibt also kein Privileg, keine Garantie für ein Mandat. Die Minderheit hat nichts, sie muss sich alles erkämpfen. Damit unterscheiden wir uns von anderen Regionen.

Kommen wir nun zu den zwei Mandaten für die deutsche Minderheit, die Sie erwähnt haben. Gleichzeitig haben Sie gesagt, dass das Wahlkomitee etwa neun bis zehn Prozent der Stimmen bekommen müsste, um überhaupt an der Mandatsverteilung teilzunehmen. Inwieweit ist also die Ankündigung der Minderheit, zwei Mandate anzustreben, realistisch?

Bei den letzten Kommunalwahlen stimmten mehr als 50.000 Menschen für die Minderheit, ein sehr gutes Ergebnis. Ein Jahr später, bei den Parlamentswahlen, stimmten nur 30.000 Menschen für das Komitee. Wenn die Minderheit also jetzt um zwei Sitze kämpfen will, muss sie die Wähler, die ihr bei den Kommunalwahlen vertraut haben, mobilisieren und sie davon überzeugen, dass auch eine starke Vertretung im Parlament notwendig ist. Den Wählern muss klar sein, dass es die Vertreter der Minderheit sind, die sich für die Region und damit für alle einsetzen können, denn schließlich leben nicht nur Angehörige der deutschen Minderheit in den Gemeinden.
Sind zwei Mandate realisierbar? Ja. Ist es schwierig? Ja. Aber es ist nicht unmöglich, denn schließlich hatte die Minderheit in der Vergangenheit bereits zwei, drei und sogar ganz am Anfang sieben Abgeordnete – wir reden also nicht von unrealistischen Dingen.

Aber was können diese ein oder zwei Abgeordneten im Sejm bewirken? Das ist eine oft gestellte Frage, wenn man bedenkt, dass es bei anderen Gruppierungen um ein Dutzend oder mehr Sitze im Sejm geht – und um die reale Möglichkeit, die Regierung mitzubestimmen.

Es geht hier nicht nur um Abstimmungen in Ausschüssen und bei Sejm-Sitzungen. Mit einem oder zwei Vertretern hat man eine bessere Lobbyarbeit für die Region. Man muss sich nur die letzten 18 Jahre der Tätigkeit von Ryszard Galla anschauen, wie viel er für die Region getan oder verschiedene Initiativen unterstützt hat. Das waren nicht unbedingt spektakuläre Investitionen, aber sie waren wichtig aus Sicht der Bewohner der Region.

Es sind noch ein paar Tage bis zu den Wahlen, und wenn man sich die jüngsten Umfragen ansieht, ist die Situation recht dynamisch. Haben Sie eine Vermutung, wer diese Wahl gewinnen wird?

Wir sprechen vor dem für den 1. Oktober angekündigten Marsch der Millionen Herzen, sodass es schwierig ist, jetzt schon ein Urteil zu fällen. Es scheint, dass dieses Ereignis, wenn es mit dem Marsch am 4. Juni vergleichbar sein wird, eine Art Gamechanger werden und der heutigen Opposition zum Sieg verhelfen könnte.
Generell muss man aber sagen, dass die Situation heute 50/50 ist. Leider haben wir keine regionalen Umfragen, sodass es auch schwierig ist, die Stimmung in den einzelnen Regionen zu analysieren. Aus den Umfragen, die wir hier in der Region durchgeführt haben, geht hervor, dass die Minderheit in dieser Kampagne ein sehr hohes Mobilisierungspotenzial hat. Vor allem wegen der systematisch diskriminierenden Politik des Staates gegen Autochthone, Schlesier und Deutsche in der Woiwodschaft Oppeln. Schließlich ist es ein Zeichen von Diskriminierung, wenn man Deutsch als Minderheitensprache nicht unterrichten darf. Das ist Wahnsinn und es ist die falsche Politik.
Aber es gibt auch etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Diese Wahl ist ein Kampf für die schlesische Identität, für die deutsche Identität und für das, was für unsere schöne multikulturelle Region wichtig ist – ihre Offenheit.

Und wie geht es nach den Wahlen weiter, unabhängig davon, wer sie gewinnt? Werden wir vor einer Art Bürgerkrieg stehen?

Wenn der Sieg nicht eindeutig ist, könnte es in der Tat zu Unruhen kommen, was für uns schrecklich wäre. Ich weiß auch nicht, wie sich Jarosław Kaczyński und sein politisches Lager verhalten werden. Denn sein Handeln ist aus Sicht der Staatsinteressen irrational, wenn wir zum Beispiel die Verschärfung des Konflikts mit der Ukraine, des Konflikts mit Deutschland und mit der Europäischen Union betrachten. Es ist also schwer vorherzusagen, was passieren könnte. Auf der anderen Seite ist die Sache wahrscheinlich einfacher, denn Rafal Trzaskowski hat nach seiner Wahlniederlage gegen den Staatsapparat, der Andrzej Duda unterstützt, ja keinen Anstoß am Staat genommen. Mir scheint, dass Donald Tusk auch ein Staatsmann ist und es dem Staat nicht übelnehmen wird. Auf jeden Fall hoffe ich auf die Akzeptanz des Wahlergebnisses, wie sie auch nach dem härtesten Wahlkampf sein sollte. Nach dem 15. Oktober wird es trotz aller Streitigkeiten notwendig sein, das Kriegsbeil zu begraben und zum Wohle der Region und des Staates zusammenzuarbeiten – und darauf freue ich mich.

 

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