Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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„Heimat ist, wo dich der Nachbar grüßt“

Der Deutsche Freundschaftskreis in Stollarzowitz zählte bei seiner Gründung 1500 Mitglieder. Unter ihnen Siegfried Nawrath. Er wurde bei der Gründungsversammlung im Juni 1990 in den Vorstand gewählt, und der DFK ist seitdem ein sehr wichtiges Element seines Lebens. So wichtig, dass er sogar die Ausreise nach Deutschland hat sausen lassen.


Von seinen Kindertagen an arbeitet der 1936 geborene Stillesfelder Siegfried Nawrath gerne im Garten: „Hätten wir nicht den Garten, da wären wir 1945 nicht mehr am Leben. Denn der Garten hat uns ernährt. Ein Stückchen Feld war hinter dem Garten, und das haben wir alle, die Mutter mit Kindern, bearbeitet. Die Früchte haben uns erhalten, etwas Getreide, etwas Kartoffeln, Gemüse“ erinnert er sich.
Im Garten fand er Ruhe vor dem Rest der Welt, den Schwierigkeiten des Alltags: sein Vater im Krieg verschollen, der eigene Name in Jan-Antoni geändert, die deutsche Muttersprache verboten. „Ich sollte 1945 zur Erstkommunion. Im Januar hat uns der Pfarrer gesagt, dass er noch die Erlaubnis bekommen hat, dass wir noch die Erstkommunion in deutscher Sprache beten können. Aber eine Woche vor der Kommunion, im April, wurde ihm das sehr streng verboten, und wir mussten polnisch beten. Und bis heute weiß ich nicht, was ich dort gesprochen habe“, lächelt der 87-Jährige.

Siegfried Nawrath: „Hätten wir nicht den Garten, da wären wir 1945 nicht mehr am Leben. Denn der Garten hat uns ernährt“.

Gleichgesinnte
Siegfried Nawrath arbeitet als Maschinenschlosser unter Tage in der Preußengrube, heiratet und bekommt zwei Söhne. Schließlich stellte er einen Antrag auf Ausreise aus dem kommunistischen Polen nach Deutschland. Doch 1989 trifft er sich zu einem wichtigem Gespräch mit Gleichgesinnten: „Wir haben uns dann mit dem Herrn Wieschalka getroffen, und er sagte, dass einige sich bemühen, in Schlesien zusammenzufinden und einen Freundschaftskreis zu gründen. Und sie haben Kontakt gesucht in Hindenburg, Gleiwitz, Beuthen. Und es sei soweit gekommen, dass es die Versammlung geben wird“ erzählt Siegfried Nawrath.
Eine Liste der Deutschstämmigen wurde in Stollarzowitz angefertigt. Siegfried Nawrath hat die Eintragsnummer 437. Obwohl viele Angst hatten, waren es letzten Endes 1500 Menschen, die sich auf die Liste eingetragen haben: „Man hatte schon aus der Vergangenheit einiges im Kopf. Aber manche Leute haben uns noch mehr Angst gemacht, als wir sowieso schon hatten.“

Oberschlesienlied
Ein Licht im Tunnel also. Mit der Gründungsversammlung des Deutschen Freundschaftskreises begann für Siegfried Nawrath, genau wie für viele andere, ein neuer Lebensabschnitt: „Der Saal war voll von Leuten, und da nicht alle reinpassten, war auch der Hof voll mit Publikum. Am Anfang haben wir die deutsche Nationalhymne gesungen und dann das Oberschlesien Lied. Das haben viele mit Tränen angenommen“, sagt er gerührt.
Siegfried Nawrath wurde in den ersten Vorstand des DFK gewählt. Er war der zweitjüngste in der Truppe. Zahlreiche Hoffnungen waren mit dem am 7. Juni 1990 neugegründeten Deutschen Freundschaftskreis verbunden. Doch einfach war es nicht, erinnert sich Siegfried: „Am Anfang war es sehr schwer. Wir wussten nicht, was wir eigentlich vorhaben, was wir legal machen können und was illegal ist. Wir waren obdachlos, kann man sagen. Kein Lokum. Sogar kein Stuhl. Wir haben kaputte Stühle oben im Restaurant gefunden, die wir mit dem Herrn Wieschalka repariert haben. Und die ersten Versammlungen haben wir in Frau Wieschalkas Küche gehalten.“

Bei der Gartenarbeit findet Siegfried Nawrath von Kind an Ruhe und Flucht von den Schwierigkeiten des Alltags. Foto: Manuela Leibig

Anpacken
Zuerst mietete der DFK eine kleine Wohnung, die mit eigenen Kräften renoviert werden musste. Später mieteten sie ein ganzes Haus, das ebenfalls marode war und von den DFK-Mitgliedern eigenhändig auf Vordermann gebracht wurde. Siegfried Nawrath war bei jeder Renovierungsarbeit dabei: „Die Sehnsucht nach der deutschen Sprache hat mich wohl dazu getrieben. Was man als Kind gelernt hat, dass wollte man beleben und weiterführen.“
Über 31 Jahre macht Siegfried Nawrath bei sehr vielen Aktionen des Deutschen Freundschaftskreises Stollarzowitz mit. Er leitet die deutschsprachigen Anbetungen in der Stollarzowitzer Kirche und nimmt gerne an Reisen teil: „Als wir unsere Pilgerfahrt nach Albendorf gemacht hatten, da sollte ein Pfarrer aus Oppeln kommen, um den Kreuzweg zu leiten. Der kam aber nicht. Dann habe ich das halt gemacht.“.

Zeitzeuge
„Es gab auch Einheimische, die waren polnisch orientiert, z. B. der erste Bürgermeister aus Friedrichswille. Meine Brüder und die zweieinhalbjährigen Zwillinge, waren draußen. Und da rief Mutter auf Deutsch, sie sollen schon nach Hause kommen. Er ist in dem Moment mit dem Fahrrad vorbeigefahren. Kam direkt in unser Haus rein und sagte, wenn er noch einmal hören wird, dass sie zu den Kindern Deutsch spricht, da werden wir ausgesiedelt“, erinnert sich Siegfried Nawrath und hat auch keine Angst, über die Geschehnisse von 1945 in Schlesien öffentlich zu sprechen. So wurde er mehrmals als Zeitzeuge in die örtliche Schule, oder aber auch für das Projekt Archiv der Erzählten Geschichte eingeladen.

Siegfried Nawrath ist gerne bei jeder Aktion des DFK Stollarzowitz dabei.
Foto: Manuela Leibig

Reaktivierung
2013 wurde der deutsche Freundschaftskreis Stollarzowitz reaktiviert. Siegfried Nawrath leitete damals nach Absprache mit der Partnerorganisation der Landsmannschaft der Oberschlesier in Herford die Versammlung. Sein Wunsch war damals wie heute, dass jüngere Menschen im Vorstand sind und der Deutsche Freundschaftskreis neue Energie bekommt. Das ist in Erfüllung gegangen: „Ich freue mich, dass der DFK nun so gut funktioniert. Wir müssen daran arbeiten, die deutsche Sprache wieder zu vertiefen und sie den jungen Leuten beizubringen“ sagt Siegfried Nawrath.
Mit 250 Mitgliedern im Jahr 2022, innovativen Projekten und einem neuen, großen Sitz, der – wie es in Stollarzowitz üblich ist – auch heute noch ehrenamtlich auf Vordermann gebracht wird, steht es nicht schlecht um den DFK.

Beheimatet in Stollarzowitz
“Heimat ist, wo dich der Nachbar grüßt, und wo man sich in der Sprache unterhalten kann, die man als Muttersprache gelernt hat. Das erste Gebet in deutscher Sprache, das kann man nicht vergessen“, definiert Siegfried Nawrath den Begriff Heimat. Er ist im oberschlesischen Stollarzowitz zu Hause. Für sein jahrelanges Engagement für die Deutsche Minderheit wurde er mit dem Silbernen Ehrenzeichen der Landsmannschaft der Oberschlesier ausgezeichnet. Auch die SKGD der Woiwodschaft Schlesien zeichnete ihn als engagiertes Mitglied zum 30-jährigen Jubiläum der Organisation aus.

Manuela Leibig

 

 

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