Während der wissenschaftlichen Konferenz „Die deutsch-polnische Grenze in der Zwischenkriegszeit“, die vom 19. bis zum 21. Mai 2023 auf dem Sankt Annaberg stattfand (wir berichteten), informierte auch das Forschungszentrum der Deutschen Minderheit über seine Arbeit. Der Leiter des Zentrums, Dr. Michał Matheja, kündigte in diesem Rahmen zudem ein neues Forschungsprojekt an – und rief die Angehörigen der Minderheit zur Zusammenarbeit auf.
Der Vortrag von Dr. Michał Matheja, der den Abschluss der dreitägigen Fachkonferenz auf dem Sankt Annaberg markierte, drehte sich im Wesentlichen um das Gestern, Heute und Morgen der Arbeit des Forschungszentrums. So berichtete der Historiker zum einen über bereits laufende Forschungsprojekte seiner Einrichtung, deren Ergebnisse in naher Zukunft publiziert werden sollen. Diese wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigen sich unter anderem mit dem Erbe des deutschen Protestantismus in Polen nach 1945, der Beziehung der Einwohner Oberschlesiens zum Kulturerbe der deutschen Juden (am Beispiel von Friedhöfen und Synagogen) sowie mit der Erinnerung im Nachkriegspolen an die Internierungslager für die deutsche Bevölkerung.
„Wahrheit über alles!“
Zum anderen kündigte Dr. Matheja ein neues Forschungsprojekt an, das sich der sprachlichen Situation der deutschen Minderheit in Polen in Bezug auf vergangene und gegenwärtige gesellschaftlich-politische Probleme widmen wird. Durchgeführt wird das Projekt von einem polnisch-deutsch-tschechischen Forscherteam unter der Leitung von Dr. Justyna Kijonka vom Institut für Soziologie der Schlesischen Universität in Kattowitz.
Im Mittelpunkt des Ganzen steht dabei eine „Diagnose“ der Sprachkenntnisse der Angehörigen der deutschen Minderheit sowie die Bestimmung des Kontextes, in dem Deutsch von ebenjenen Mitgliedern der Minderheit benutzt wird. Auch das Problem der Asymmetrie bei der Verwendung der polnischen und deutschen Sprache wird Thema der Studie sein.
Dazu soll zahlreichen Forschungsfragen nachgegangen werden, zum Beispiel hinsichtlich des prozentualen Anteils der Vertreter der deutschen Minderheit, die des Deutschen mächtig sind, oder in puncto der geografischen Verteilung der deutschen „Sprachinseln“ in Polen. Zudem soll untersucht werden, in welcher Sprache die Vertreter der deutschen Minderheit beten und wie viele von ihnen an der deutschsprachigen Seelsorge teilnehmen. Darüber hinaus wird das achtköpfige Forscherteam analysieren, welche Rolle der muttersprachliche Deutschunterricht an den Schulen für die Entwicklung der nationalen und kulturellen Identität spielt und inwieweit die Vertreter der Minderheit die deutschsprachigen Medien nutzen.
Zentral für den Erfolg des Projekts sei, so Dr. Matheja, die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Wissenschaftler mit den Organisationen der deutschen Minderheit – denn die Forscher würden mit einem Onlinefragebogen und Gesprächsanfragen noch in diesem Jahr auf die Vertreter der Minderheit zukommen. Dabei solle „ohne Scham“ über die tatsächliche sprachliche Lage und von den Problemen berichtet werden, bekräftigte Dr. Matheja mit den Worten „Wahrheit über alles!“.
Aufruf: Ideen für zukünftige Projekte
Zum Ende seiner Ausführungen wagte Dr. Matheja noch einen Blick in die nähere Zukunft – und rief die Angehörigen sowie die Organisationen der Minderheit ausdrücklich dazu auf, dem Forschungszentrum Projektideen für die Jahre 2024 und 2025 zukommen zu lassen. Nach der Sammlung geeigneter Themen und Forschungsfragen werde das Zentrum nach Instituten und Einrichtungen suchen, die dann die konkreten Forschungsprojekte ausführen werden.
Die Themen müssten aber bestimmte Kriterien erfüllen, wie Dr. Matheja unterstrich. So müssen sie die deutsche Minderheit in Polen betreffen und für diese relevant sein, ganz Polen abdecken oder einen überregionalen beziehungsweise zumindest regionalen Bezug haben sowie bisher gar nicht bis kaum erforscht sein.
Beate Tur
ln
Weitere Informationen zur Arbeit des Forschungszentrums der Deutschen Minderheit finden Sie unter „www.fzentrum.pl“.