Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Philosophus Teutonicus

Die Staatliche Akademie für Angewandte Wissenschaften in Neisse und die Internationale Jakob Böhme Gesellschaft aus Görlitz organisierten eine internationale wissenschaftliche Konferenz zu Jakob Böhme – an seinem 399. Todestag. 35 Forscher aus ganz Europa beschäftigten sich mit verschiedenen Aspekten der Lehren von Jakob Böhme, die sie in Neisse bei der Konferenz „Jacob Böhme – Wirkung, Rezeption, Kontexte. Moderne und Postmoderne” präsentierten.


Warum wird diese Konferenz gerade in Neisse organisiert? „Wir haben gute Kontakte zu der Gesellschaft und natürlich war die barocke Lyrik aus Neisse auschlaggebend. Angelus Silesius wirkte hier in Neisse, er hat sich ja auch von Böhme inspirieren lassen. Unser Prorektor für Wissenschaft ist auch Philosoph, wir waren schon bei einigen Konferenzen in Görlitz dabei, nun sind wir Gastgeber“, erklärt Dr. Alina Dittmann, Dozentin an der Staatlichen Akademie für angewandte Wissenschaften in Neisse. Jakob Böhme war der erste Philosoph, der seine Schriften nicht wie zu seiner Zeit üblich in Latein, sondern in Deutsch verfasste. „Er wurde sehr vom deutschem Idealismus und der Romantik geschätzt, z. B. Schelling und Hegel berufen sich auf ihn. Auch später, Heidegger und die moderne Philosophie und Philologie denken noch an Böhme. Auch die Niederländer haben seine Werke vielfältig im 18. Jahrhundert veröffentlicht“, erklärt Alina Dittmann.

Jakob Böhme, Gemälde von Christoph Gottlob Glymann
Quelle: Wikipedia

Philosophus Teutonicus?
Die Internationale Jakob Böhme Gesellschaft wurde 2001 gegründet und hat zur Aufgabe, über das Leben und Werk Böhmes zu informieren. Jakob Böhme wird oft als „Theosoph“ bezeichnet: „Obwohl keiner so recht weiß, was das sein soll. Er wird als Philosoph bezeichnet, aber die Philosophen sind ein wenig skeptisch, was seine Anordnung angeht. Zwar sagt Hegel, dass Jakob Böhme der erste deutsche Philosoph gewesen wäre. Und sein Zeitgenosse und Freund, der in Liegnitz geborene Arzt und christlicher Kabbalist Balthasar Walther, bezeichnete ihn als Philosophus Teutonicus, was natürlich sehr mächtig klingt, aber in die Geschichte der Philosophie ist er eigentlich nicht recht integriert. Und das ist merkwürdig, weil er eine ganz erstaunliche Wirkung gezeigt hat, gerade auch auf bestimmte Philosophen, vor allem zu Zeit der Romantik und darüber hinaus. Zu nennen wären z. B. Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling, der ihn sehr geschätzt hat und Arthur Schopenhauer, der schon als junger Denker die Schriften von Böhme gelesen hat. Und die Impulse von Böhme sind dann auf diese Weise, mehr oder weniger vermittelt, auch in die deutsche Philosophie, in den Idealismus eingeflossen, und über Schoppenhauer dann weitergegeben worden an Nietzsche und vor allen Dingen auch an Freud und die Psychoanalyse“, erklärt Dr. Thomas Regehly aus Offenbach, Vorsitzender der Internationalen Jakob Böhme Gesellschaft.

Die Staatliche Akademie für Angewandte Wissenschaften in Neisse und die Internationale Jakob Böhme Gesellschaft aus Görlitz organisierten eine internationale wissenschaftliche Konferenz zu Jakob Böhme.
Foto: Schlesien Journal

Gnadenwahl
„Bis zur Psychoanalyse schafften es seine Ideen, weil Jakob Böhme auf einzigartige Weise auch auf, sagen wir, die dunkle Seite des Menschen aufmerksam gemacht hat. Er hat das Böse zurückgeholt und integriert in das, was den Menschen ausmacht. Das Böse ist nicht etwas, was es nicht gibt. Aber es ist Teil des Menschen. Und es gibt eine wichtige Schrift von ihm über die Gnadenwahl. Die Gnadenwahl entspricht dem Dogma der Kalvinisten, die gesagt haben, dass die Menschen von Vornherein einsortiert sind. Die einen sind für die Erlösung bestimmt, wohl gemerkt, nur wenige. Die anderen sind von Vornherein verdammt, gehören zur ‘massa damnata‘. Dagegen hat sich Böhme in dieser Schrift – die vor genau 400 Jahren von ihm verfasst wurde – ausgesprochen und gesagt: ‚Das kann nicht sein. Solche Entscheidungen trifft Gott nicht‘. Er hat dann dargestellt, dass die Sphäre, in der wir uns Gott vorstellen können, von solchen Vorschlägen und Vorsätzen frei sein muss“, erklärte Dr. Thomas Regehly bei der Konferenz in Neisse, die als Auftakt zum 400. Todestagjubiläum Böhmes im Jahr 2024 organisiert wurde.

Die Staatliche Akademie für Angewandte Wissenschaften in Neisse und die Internationale Jakob Böhme Gesellschaft aus Görlitz organisierten eine internationale wissenschaftliche Konferenz zu Jakob Böhme.
Foto: Schlesien Journal

Bezug zu Gott
Michael Prochnow, Vorstandsmitglied der Internationalen Jakob Böhme Gesellschaft, macht Jakob Böhme Führungen durch Görlitz und ist Verleger, hauptsächlich von Werken Jakob Böhmes und solcher, die an Jakob Böhme anknüpfen. „Es lohnt sich finanziell nicht unbedingt. Bei der Vorbereitung zu den Jubiläumsjahren steigt der Absatz etwas, weil Jakob Böhme in Görlitz schon ein Thema ist. Mein Konzept ist, kürzere Schriften zu veröffentlichen. Sein dickstes Buch umfasst 800 Seiten, das werde ich wahrscheinlich nicht machen, weil da das Interesse sicherlich sehr gering und die Investition sehr hoch ist. Aber diese kleineren Schriften, die auch relativ leicht verständlich sind, finden Anklang. Im Alltag kann man sehr gut ohne Jakob Böhme leben, das denken jedenfalls die Leute. Wir in der Gesellschaft denken natürlich, dass sie mit Jakob Böhme noch besser leben würden“, lacht Michael Prochnow.
Ob Jakob Böhmes Schriften zu Gott führen, kann Michael Prochnow nicht eindeutig beurteilen: „Es gibt ganz unterschiedliche Zugänge zu Jakob Böhme. Es gibt keine Seite in seinen Schriften, in der Gott nicht mehrmals vorkommt. Und eigentlich versteht man ihn überhaupt nicht ohne Gott. Dass Leute sozusagen durch Böhme fromm werden, das hat zu seinen Lebzeiten funktioniert, darüber haben wir berichtet. Das hing auch sicherlich mit seiner Person zusammen. Und was es wahrscheinlich heute gibt, ist das, wenn Menschen auf der Suche, irgendwo dazwischen sind, wenn sie zweifeln – dass die einen Weg finden, zurück, als eine Variante die, wenn man so will, angeboten wird, das kann ich mir gut vorstellen.“

Michael Prochnow: „Im Alltag kann man sehr gut ohne Jakob Böhme leben, das denken jedenfalls die Leute. Wir in der Gesellschaft denken natürlich, dass sie mit Jakob Böhme noch besser leben würden.“

Nie zu viel
Zu der Konferenz kommt der Jakob Böhme-Kenner nicht nur, weil er hier seine Ausstellung eröffnet und einen Vortrag hält: „Bei den vielen Vorträgen werden immer wieder Zugänge zu Böhme präsentiert, die ich nicht habe, obwohl ich viele Schriften von Böhme bereits gelesen habe. Dadurch erhält man immer wieder Anregungen, Inspiration, wie andere Leute mit Böhme umgehen. Ich würde nicht sagen, dass ich Jakob Böhme verstehe. Ich denke schon, dass ich einen Zugang zu ihm habe, aber bei solchen Vorträgen ergeben sich manchmal auch Aufklärung oder eine Möglichkeit, wie man Böhme verstehen kann“, so Michael Prochnow.
Der gelehrte Schuster Jakob Böhme wurde 1575 in Alt Seidenberg in der Oberlausitz geboren. 2024 wird in Görlitz, der Stadt, in der Jakob Böhme gewirkt hat, an seinen 400. Todestag u. a. mit Vorträgen, Wanderausstellungen, Publikationen und Konzerten das ganze Jahr über erinnert.

Manuela Leibig

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