Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Die Gedanken sind frei

„Alles ist gut”?

Wieder einmal ist die Sommerzeit für mich zu einer Art Spurensuche des Deutschtums dort geworden, wo es früher Alltag war. Diesmal in Litauen und Lettland. Das fällt nun mit dem Beginn der praktischen Diskriminierung von Kindern deutscher Herkunft in ganz Polen zusammen, was uns in wenigen Tagen erwartet. Und in diesem Zusammenhang überkommt mich die traurige Überlegung, dass die Kinder durch die Kürzung des Deutschunterrichts von einer großen Kultur abgeschnitten werden, ohne die die Kultur, Architektur und Wirtschaft vieler europäischer Länder kaum vorstellbar sind.

Wenn man von Lyck (Ełk) nach Memel (Klaipėda) fährt, erreicht man nach dem Grenzübertritt die Memel (Nemunas) und fährt Dutzende Kilometer entlang des Flusses, der durch ein Delta im Kurischen Haff mündet. Heute ist es auch die Grenze Litauens mit der russischen Oblast Kaliningrad, doch man muss bedenken, dass auf beiden Seiten der Memel Ostpreußen ist. Kein Wunder also, dass mir dort der Geburts- und Wohnort des jungen Johannes Bobrowski auffällt, in Heydekrug (Šilutė) das Grab der Familie von Hermann Sudermann und auf dem Theaterplatz in Memel ein filigranes Denkmal Ännchen von Tharaus nach einem Lied von Simon Dacha, das in ganz Deutschland bekannt ist, weil es von Johann Gottfried Herder persönlich aus dem Dialekt ins Hochdeutsche übersetzt wurde. An einem der Gebäude in Memel informiert eine Tafel darüber, dass in den Jahren von 1807 bis 1808 de facto hier die Hauptstadt Preußens lag, weil hier König Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise auf der Flucht vor dem einfallenden Napoleon untergekommen waren. 600 Meter Fahrt mit der Fähre und auf der Kurischen Nehrung in Nidden (Nida) können wir von der Terrasse des Hauses, in dem Thomas Mann „Joseph und seine Brüder“ schrieb, auf das Haff blicken.

Nördlich von Memel, hinter der letzten ostpreußischen Ortschaft Karkelbeck (Karklė), beginnen Lettland und die Region, die wir aus dem Geschichtsunterricht als Livland kennen. In Libau (Liepāja) finde ich ein altes Holzhaus mit dem Schild „Alles ist gut“. Hier gab Immanuel Kant den Druck seiner „Kritik der Urteilskraft“ in Auftrag. In Riga spüre ich neben den Spuren des Wirkens von Herder und Wagner die Anwesenheit des vor zweihundert Jahren in Görlitz geborenen Johann Christoph Brotze, der heute in Lettland den Ruhm eines der Väter der lettischen Identität genießt. Die Deutschen trugen zur Kodifizierung der heutigen baltischen Sprachen bei und legten den Grundstein für die Geschichtsschreibung dieser Nationen.

Nach diesen Hunderten von Kilometern war ich stolz, Teil dieses großen deutschen Kulturkreises zu sein, der trotz so vieler Veränderungen auch dort fortbesteht. Aber deshalb bin ich auch empört darüber, dass die polnische Regierung diese Kultur und Sprache in den Schulen behindert. Ich kann also nicht Kants „Alles ist gut“ zitieren.

Bernard Gaida

Titelfoto: Blick über Libau (Liepāja) (Foto: Kulmalukko/wikimedia.org)

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