Das Erwarten
Ich schrieb zuletzt darüber, dass die Welt, wie wir sie kennen, vor unseren Augen untergeht. Terroristische Organisationen und diktatorische Regierungen haben keine Hemmungen mehr. In vielen Ländern kommt es zu zunehmenden Spannungen zwischen den Befürwortern der Demokratie und denjenigen, die aus verschiedenen Gründen ihre Einschränkungen akzeptieren. Erst die Wahlen werden zeigen, welche Tendenzen sich durchsetzen werden. Leider wollen auch die Verfechter der demokratischen Tendenzen ihre Ansichten auf verschiedene – nicht immer demokratische – Weise und im Namen einer nicht immer gut verstandenen Freiheit durchsetzen. Dies könnte ihre Wähler entfremden, was an sich schon gefährlich ist.
Nationale Minderheiten hingegen sind immer daran interessiert, eine gesunde Demokratie zu stärken und nationalistische oder autoritäre Tendenzen einzudämmen. Am vergangenen Wochenende standen wir an vielen Orten in Oberschlesien an den Gedenkstätten für die Nachkriegstragödie der Deutschen im Osten. Diese Tragödie hätte nicht geschehen können, wenn die Sieger entschlossen gewesen wären, die Grundsätze zu wahren, die später in den heute allgemein anerkannten Menschenrechten verankert wurden. In meiner Rede in Lamsdorf habe ich Bundespräsident Gauck zitiert, der 2015 erklärte, dass „der sogenannte ‚Bevölkerungstransfer‘ von Millionen Deutschen aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Böhmen, Mähren, aus der Batschka und vielen anderen Gegenden in Mittel- und Südosteuropa auch den alliierten Regierungschefs Churchill, Truman und Stalin als adäquate Antwort auf den Tod und Terror erschien, mit dem Nazi-Deutschland den Kontinent überzogen hatte.“
Diplomatisch setzte er ein Fragezeichen hinter die „Angemessenheit“ dieser Antwort. Dies hat der ehemalige UN-Menschenrechtsexperte Prof. A. de Zayas schon vor Jahren deutlich gemacht: „Eine Strafe ohne persönliche Schuld und ohne Verhältnismäßigkeit ist keine Strafe, sondern ein Verbrechen an sich.“ Das diametral andere Nachkriegsschicksal der Deutschen in Dänemark ist der beste Beweis dafür, dass der Schutz für die Deutschen dort Recht und Gesetz war, die es nicht zuließen, dass den Deutschen eine Kollektivschuld angelastet wurde. Unabhängig von polnischen Assoziationen können Recht und Gerechtigkeit nur in einem demokratischen Staat funktionieren.
Schon deshalb sollten demokratische Staaten im eigenen Interesse nationale und ethnische Minderheiten in ihrem Bemühen unterstützen, ihre eigene kulturelle und sprachliche Identität und damit die für die Demokratie selbstverständliche Vielfalt zu bewahren. Ich schreibe dies vor allem deshalb, weil wir gemeinsam mit anderen nationalen Minderheiten in Polen der neuen polnischen Regierung eine Eröffnungsbilanz vorgelegt haben, in der wir eine klare Änderung der Minderheitenpolitik und auch eine deutliche Erhöhung ihrer finanziellen Unterstützung fordern. Gleichzeitig wird in der Haushaltsdebatte in Deutschland über die Höhe der Unterstützung für die deutschen Minderheiten nachgedacht, von denen erwartet wird, dass sie Brücken der Verständigung im eigenen Land, Stützen der demokratischen Strukturen und Unterstützer der europäischen Idee sind. Ich muss zugeben, dass es mir nicht leichtfällt, in beiden Punkten optimistisch zu sein.
Bernard Gaida
Titelfoto: Gedenkkreuz auf dem symbolischen Friedhof der Opfer des Arbeitslagers in Lamsdorf (Foto: Lucas Netter)