Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Die Gedanken sind frei

Keine Angst, die Minderheiten zu wählen

In den kommenden Wochen wird uns alle das Thema Wahlen einholen, und es wird auch mir schwerfallen, mich dem zu entziehen. Ich werde jedoch versuchen, mich irgendwie abzuheben.

Ich habe bei einem Fernsehsender eine Wahldebatte verfolgt, an der Vertreter aller Oppositionsparteien teilnahmen, ohne Politiker der heutigen Regierungspartei. Wenn man die konkreten Fragen, Themen und Antworten nicht analysiert, fällt auf, dass sich die Politiker gegenseitig die gleichen Dinge vorwarfen, zum Beispiel dass ihre Parteien ein Sammelsurium von Menschen mit unterschiedlichen Ansichten seien oder dass sie als Opposition oft für Lösungen gestimmt hätten, die sie jetzt kritisieren.

Die Lektüre von Olga Tokarczuks jüngstem Roman „Empuzjon“ ist mir noch frisch in Erinnerung. Auch in diesem Roman lässt sich die Autorin von Schlesien inspirieren und verlegt die Handlung in den sudetischen Kurort Görbersdorf (Sokołowsko) zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dort stellt sie Überlegungen zur Gesellschaft, zur Stellung der Frau, zu politischen Visionen an, vergleicht nationale Eigenheiten und lässt im Hintergrund Legenden aufleben. Dr. Semperweiss vertritt dort eine Meinung, die man mit der erwähnten sonntäglichen Fernsehdebatte in Verbindung bringen könnte. Er argumentiert, dass die Grundpfeiler der Funktionsweise von Gesellschaften Scheinheiligkeit und Konformität sind. Er sagt: „Scheinheiligkeit bezieht sich immer auf die hochgeistigen Ideen, die eine Gemeinschaft aufbauen. Man sollte an sie glauben und zeigen, dass man an sie glaubt, aber in Wirklichkeit nimmt niemand diese Ideen völlig ernst. Sie sind für andere da, und andere sollten an sie gebunden sein. Der Konformismus hingegen ist eine Art, sich in dieser imaginären Welt zurechtzufinden und sagt uns, alles zu ignorieren, was auffällt und nicht passt.“

Dies bestätigt die Kluft zwischen den Slogans, dass man zum Beispiel „nicht für Geld in die Politik geht“, und der praktischen Politik der „fetten Katzen“, wie in Polen die sich bereichernden Politiker genannt werden. Wenn aber dieses Prinzip des Arztes aus den Sudeten für alle Gemeinschaften gilt, führt es zu Entmutigung, der Suche nach neuen Alternativen oder dem Unglauben an Veränderungen. Und doch haben wir eine Vorahnung, dass die derzeitige Situation und die Wahlen in Polen das Zeichen für etwas Wichtigeres als zuvor sind. Diese Vorahnung erweckt den Eindruck, dass die Welt als eine Alternative von Schwarz und Weiß akzeptiert werden sollte und dass die eigene Wahl auf einfachen Antithesen beruhen sollte.

Laut Semperweiss tun wir das, „weil wir unsicher sind“ und ein starres System erfinden, um aufrecht zu stehen. Und damit verschließen wir die Augen vor der Realität, in der es eine „Vielzahl von subtilen Schattierungen“ gibt. Lassen wir uns also nicht einreden, dass wir nur zwischen Schwarz und Weiß zu wählen haben, haben wir keine Angst, uns für die Minderheit zu entscheiden!

Bernard Gaida

Titelfoto: Blick auf Görbersdorf in Schlesien (Foto: SchiDD/wikimedia.org)

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