Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Die Gedanken sind frei

Eine Frage nach Identität

Vor ein paar Wochen befand ich mich in Prag auf einer Konferenz zum Thema Identität, die von der deutschen Minderheit in der Tschechischen Republik organisiert wurde. Identität entzieht sich allen Definitionen und obwohl sie von Soziologen untersucht und von Aktivisten und jedem von uns beobachtet wird, bereitet sie oft Schwierigkeiten bei der Beschreibung. Sie ist vielschichtig, weil sie sich nicht in nationalen, religiösen oder geschlechtsspezifischen Aspekten erschöpft, sondern jeder von ihnen teilweise Einfluss auf die Art und Weise hat, wie man sie erlebt. Sie muss nicht konstant sein, da sie durch Alter, Bildung, soziales und geografisches Umfeld oder finanzielle Lage beeinflusst werden kann. Die Konferenz hat sowohl im Inhalt der Reden und Diskussionen als auch in meinen Gesprächen mit den Teilnehmern diese Komplexität und damit das Problem der Definition oder Zugehörigkeit bewiesen.

Einer der Forscher erinnerte an eine scheinbar offensichtliche, aber oft vergessene Wahrheit, und zwar, dass es keine kollektive Identität gebe. Träger kann nur eine Einzelperson sein. Daher sind alle Behauptungen, dass „die Jugend so sei“ oder dass die „deutsche Minderheit“ diese oder andere Vor- oder Nachteile hätte, ein Missbrauch. Es ist aber auch klar, dass gemeinsame Eigenschaften und Überzeugungen Kollektive bilden können, die wiederum die individuellen Identitäten beeinflussen.

Und obwohl betont wurde, dass die Sprache ein unverzichtbares verbindendes Merkmal der deutschen Minderheit sei oder sein sollte, kam man zu der Meinung, dass die Symbolik des Ortes und der Traditionen wichtiger seien als die Sprache. Umstritten fanden junge Menschen die Aussage, dass das Band, das Minderheitenangehörige zusammenhält, der Nationalstolz sei, dessen materielle Grundlage der Stolz und die zeitgemäße Betonung der jahrhundertealten Errungenschaften der Sudetendeutschen sein könnten. Der Vorsitzende einer Ortsgruppe der deutschen Minderheit in der Nähe von Mährisch Ostrau erzählte mir, dass er bei seiner Kandidatur für dieses Amt ein alternatives Angebot gehabt habe, Vorsitzender der polnischen Minderheit in seiner Ortschaft zu werden. Schließlich kamen seine deutschen Vorfahren als polnischsprachige Bergleute aus der Nähe von Bochnia nach Tschechien.

Identität bestimmt viele unserer Verhaltensweisen, aber wie man sieht, kann sie uns überraschen. Nach dem Wahlsonntag, an dem uns die Stimmen fehlten, um den Sitz unseres Abgeordneten im Sejm zu behalten, können wir den Schluss ziehen, dass sich viele schlesische Wähler kaum bewusst sind, dass dieser deutsche Teil ihrer komplexen Identität für sie selbst, für Schlesien, einen hohen Stellenwert einnehmen sollte. Meine Prager Reflexionen über Identität helfen, dies zu verstehen, postulieren aber auch die Suche nach Wegen, diesen Wert trotz des Familientraumas der Nachkriegszeit, der Zeit der Ausgrenzung und der zeitgenössischen Politik zu steigern.

Bernard Gaida

Titelfoto: Bernard Gaida bei der Konferenz in Prag (Foto: Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik/Landesecho)

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