Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Die Gedanken sind frei

Stettin

Nach meinem Aufenthalt in Erfurt war es nun an der Zeit, Stettin zu besuchen, eine jahrhundertealte Metropole Pommerns, deren historischer Einfluss westlich über Stralsund und östlich bis Bütow (Bytów) reicht. Beim Betrachten der Karte des historischen Pommern im Museum der Stadt Stettin kam es mir vor, als würde ich einen Vogel mit einem Flügel betrachten.

Die heutige Realität, in der junge polnische Familien ihre Häuser in deutschen Grenzgemeinden bauen und zur Arbeit nach Stettin pendeln und das Philharmoniepublikum zu fast 50 Prozent deutschsprachig ist, scheint eine Rückkehr zur Normalität zu sein. Dieser positive Trend wird auch durch das Interreg-Projekt „Theater-Pom.net“ verstärkt, das den Zugang zu Theatern auf beiden Seiten der Oder verbessern soll. Angesichts dieser positiven Trends ist es überraschend, dass es schwierig ist, in Stettin einen Ort zu finden, an dem die jahrhundertealte Geschichte dieser Stadt zuverlässig erzählt wird.

Die Ausstellung im Museum der Stettiner Stadtgeschichte ist eine eher unvollständige Sammlung von Exponaten, der es an einer Erzählung mangelt, als ob jemand nicht wüsste, wie man die Geschichte erzählt. So finden wir Otto von Bamberg neben Katharina der Großen, deutsche Zunftsiegel neben Porträts von Friedrich dem Großen und Napoleon. Im Schloss der pommerschen Fürsten finden wir Sarkophage mit deutschen Inschriften der einzelnen Bogusławs (Bogisla) ohne jegliche interkulturelle Erzählung.

In der Stadt selbst gibt es relativ wenige Spuren dieser Geschichte und deshalb ist eine konsequente Erzählung der besten historischen Ausstellung des Dialogzentrums „Przełomy“ wichtig. Diese erzählt von der Zeit zwischen 1939 und 1989, also vom Ausbruch des Krieges bis zum Untergang der Totalitarismen, woran die Werftarbeiter aus Stettin maßgeblichen Anteil hatten. So erfahren wir, dass die Stadt neben Hamburg und Dresden eine der am stärksten von den Alliierten bombardierten Städte im Deutschen Reich war und etwa 40.000 Stettiner unter den Trümmern starben. Ihr Opfer war auch der Dom, heute auffallend leer und mit vielen patriotisch gefüllten Seitenkapellen ohne gotische oder barocke Altäre. Bemerkenswert ist eine Kapelle, in der die nach dem Krieg in den Ruinen der Kirche gefundenen Leichen begraben wurden.

Zeitzeugin ist eine weitere Kapelle, in der alle Bischöfe des Bistums Stettin-Cammin aufgeführt sind, vom ersten, Otto von Bamberg im Jahr 1124, bis hin zu Andreas Dzięga seit dem Jahr 2009. In Schlesien wissen wir oft nicht, dass in den Jahren 1811 bis 1930 der Zuständigkeitsbereich der Breslauer Bischöfe bis an die Ostsee reichte, was hier deutlich zum Ausdruck kommt. In Stettin gibt es noch eine gotische St.-Peter-und-Paul-Kirche, errichtet an der Stelle der ersten Kirche, die der Missionsbischof Otto erbaut hatte. Nur wenige Dutzend Meter trennen sie vom Denkmal für die Opfer des Dezember 1970 und dem Przełomy-Dialogzentrum, das auch den tragischen Übergang vom deutschen Stettin zum polnischen Szczecin zeigt. Auch durch Berichte deutscher Zeitzeugen.

Bernard Gaida

Titelfoto: Das Stettiner Rathaus, früher Sitz der pommerschen Provinzialregierung (Foto: © Mateusz War. / Wikimedia Commons / CC-BY-SA-3.0,2.5,2.0,1.0)

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