Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Die Suche nach den Wurzeln

Ein Mann, eine Mission: Johannes Fichtner hat ein Ziel vor Augen – seinen 200. Besuch in Schlesien. In einem Gespräch mit dem „Wochenblatt.pl“ sprach er über seine bewegende Reisen zurück zu seinen Wurzeln.

Johannes Fichtner aus Syke, einem kleinen Ort ein paar Kilometer vor Bremen, kommt gar nicht aus Norddeutschland. Seine eigentliche Heimat, seine Wurzeln sind tief in Schlesien verankert. Seit Jahren lässt er keine Gelegenheit aus, sie zu erkunden. Bereits 197-mal hat er seine alte Heimat besucht. „Zweihundert sollen es in jedem Fall noch werden”, sagt er im Telefoninterview. Dieses Jahr steht noch Besuch Nummer 198 an.

Heimat
Die Geschichte von Johannes Fichtner beginnt im Jahr 1944 im damaligen Oppau in Niederschlesien, heute Opawa. Mit nur eineinhalb Jahren wurde seine Familie von der polnischen Miliz vertrieben, gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Seine Mutter wollte damals nicht gehen, aber seine 13-jährige Schwester konnte sie überzeugen. So sei es sicherer und besser.
Nach einer fünftägigen Reise fand die Familie schließlich Zuflucht in Syke, einer norddeutschen Stadt etwa 30 Kilometer vor Bremen.Hier wuchs Johannes Fichtner auf, ging zur Schule und arbeitete bis zu seinem Ruhestand als Hausmeister. Und er hat dabei auch einen typisch norddeutschen Akzent entwickelt, wenn er deutsch spricht.
Trotzdem verspürte er stets eine unaufhaltsame Sehnsucht nach den Ursprüngen seiner Familiengeschichte.Durch die Geschichten seiner Eltern, die zu Hause weiterhin schlesisch sprachen, formte sich in ihm ein Bild von seiner Geburtsstadt, die er unbedingt sehen wollte.

 „Wer bei mir mitfuhr, wusste immer, dass er sein altes Heimatdorf auch sieht.“

Die Chance, dieses fiktive Bild mit der Realität abzugleichen, ergab sich erstmals 1973, als er sich einer Reisegruppe nach Breslau anschloss. Bei einer Tagesfahrt ins Riesengebirge, ergriff er die Chance und fragte die Reiseleiterin, ob sie ihm ein Taxi in das nicht weitentfernte Opawa bestellen könne. Er wolle die Heimatstadt seiner Eltern sehen. „Das hat sie dann netterweise auch gemacht“, erzählt Fichtner. Aber ein Problem gab es danach trotzdem noch;„Ich sprach kein Wort Polnisch, der Taxifahrer kein Wort Deutsch.“ Die Kommunikation während der Fahrt und für die Rückfahrt war demnach kompliziert, aber es hat geklappt. Die Fotokamera vergaβ er bei all der Aufregung im Bus. Deshalb wollten ihm seine Eltern damals nicht glauben, dass er es tatsächlich in das kleine Dorf geschafft hatte. Er konnte sie schlussendlich aber doch überzeugen.

Johannes Fichner (links) erzählt gernüber seine Reisen nach Schlesien.
Foto: privat

Hilfstransporte nach Schlesien
Fasziniert von diesem ersten Besuch kam er immer wieder. Die Anzahl seiner Besuche dokumentierte er durch Stempel in seinem Reisepass. Nachdem die Grenzen geöffnet worden sind, durch das Schengener Abkommen, habe er einfach selbst weitergezählt.
Zwischen 1981 und 1986 organisierte Fichtneraußerdem mehrere Hilfstransporte in die Region. Erst Lebensmittel, später medizinisches Gerät. 1988 brachte er entbehrliche Rollstühle, Gehhilfen und Matratzen aus Norddeutschland in die Region. Diese Hilfstransporte schmiedeten Freundschaften, die bis heute Bestand haben. „Meine Frau und ich übernachten bei unseren Freunden dort, wenn wir in Schlesien sind und unsere schlesischen Freunde übernachten hier bei uns, wenn sie zu Besuch in Deutschland sind.Wir freuen uns immer, wenn wir uns wiedersehen.“

Ab 1993 organisierte Fichtner dann selbst Reisen, zuerst nach Tschechien, später auch nach Schlesien. Anfangs nahmen noch Vertriebene selbst teil, später waren es ihre Kinder und Enkel, die ihre Wurzeln erkunden wollten. „Wer bei mir mitfuhr, wusste immer, dass er sein altes Heimatdorf auch sieht. Wenn möglich sogar das eigene Haus.“ Das war etwas ganz Besonderes für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer. So knüpfte Fichtner auch Kontakte zu anderen Familien und Menschen, die wie er ihre Heimat in Schlesien sahen, obwohl sie fast ihr ganzes Leben in Norddeutschland gewohnt haben.
1995 wurde auf seine Initiative hin in der Kirche in Oppau ein Versöhnungsgottesdienst zwischen ehemaligen und aktuellen Bewohnern der Region gefeiert. Ein besonders rührender Moment für Fichtner und viele andere.

 

Gedenktafel aufgestellt
Seine Reisen nach Schlesien waren aber auch immereine Entdeckung der Geschichte der Region. Er hatte Einblicke in Kirchenbücher und anderes historisches Material. Bei einer seiner Reisen hat er eine Gedenktafel an der Kirche anbringen können, die an das Schicksal des ermordeten Gemeinde-Pfarrers der Region nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert.

Auch zuhause Vollblut-Schlesier
Seine Verbindung zu Schlesien feiert Johannes Fichtner aber auch in Norddeutschland. Zweimal im Jahr veranstaltet er in einem Hotel in seinem Ort ein großes Żymlok-Essen. Die Würste bekommt er von einer Metzgerei in Norddeutschland, die sich extra ein Rezept aus Schlesien für die Würste besorgt hat. Etwa 80 Menschen nehmen an den Treffen teil. Zwischen den beiden Terminenim Jahr lädt Fichtner zum gemütlichen Kaffeetreffen ein. Einmal monatlich trifft sich die Twistringer Schlesiergruppe undliest zusammen deutschschlesische Gedichte. Gar nicht so einfach, sagt Fichtner, der zwar fließend schlesisches Deutsch spricht, aber das Lesen manchmal noch schwer findet.

Andreas Schneider

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