Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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In einem niederschlesischen Dorf

Mit Katarzyna Zyskowska, der Autorin des Romans „Nocami krzyczą sarny“ („Nachts schreien die Rehe“; Znak Verlag) über das Schicksal der deutschen Bevölkerung in einem der Dörfer im Eulengebirge sprach Rudolf Urban.

Warum haben Sie sich entschlossen, ein Buch über ein so schwieriges Thema zu schreiben? Wir lesen in Ihrem Roman vom Einmarsch der Roten Armee in die Dörfer im Eulengebirge, von Vergewaltigungen, Vertreibungen und dem problematischen Zusammenleben zwischen den noch verbliebenen Deutschen und den ankommenden Polen.

Ich schreibe oft auf der Grundlage der Geschichte, weil sie mich persönlich interessiert, aber „Nocami krzyczą sarny“ wurde eigentlich aus persönlichen Gründen geschrieben. Als ich vor einigen Jahren auf der Suche nach Abstand von Warschau war, wollte ich ein Haus in den Bergen bauen – und ich verliebte mich in das Eulengebirge. Ich fand dort ein Stück Land, ein wunderschönes Fleckchen Erde, und ich begann, es öfter zu besuchen.
Weil es landschaftlich ein wirklich schöner Ort ist, hat es mich anfangs am meisten fasziniert, in den Bergen zu wandern und die Landschaft zu betrachten. Aber in meinem Dorf gibt es sehr viele deutsche Artefakte und ich begann mich zu fragen, wer früher dort lebte. Die Atmosphäre früherer Bewohner ist wirklich sehr greifbar. So bin ich in diesem Frühjahr zum Beispiel auf ein ausgegrabenes Depot gestoßen, das buchstäblich einen Kilometer von meinem Haus entfernt ist. Zuerst dachte ich, es sei eine wilde Müllkippe. Aber es stellte sich heraus, dass im Boden zerbrochene Platten lagen, und auf der ersten las ich auf der Rückseite die Aufschrift „Striegau“. Es kann sich also nicht um eine moderne Mülldeponie handeln, sondern um Dinge, die von Deutschen vergraben wurden, die von hier weggegangen oder geflohen sind. In meinem Dorf gibt es auch einen verwahrlosten deutschen Friedhof, den meine Nachbarn und ich aufgeräumt haben. Er befand sich in einem dramatischen Zustand, der durch die Firma Tauron, die mit ihrem schweren Gerät buchstäblich über die Grabsteine gefahren ist, noch weiter verschlimmert wurde.
All diese deutschen Artefakte begannen mich anzusprechen und ich fing an, mich dafür zu interessieren, was in meinem Dorf vor sich gegangen war. Was den Durchmarsch der sowjetischen Truppen durch die Region betrifft, so ist er glücklicherweise recht gut dokumentiert. Deshalb hielt ich es für wichtig, über diese Geschichte zu sprechen, denn einerseits ist sie zwar bekannt, andererseits ist sie aber auch etwas völlig Neues. Vor allem für Leser, die nicht aus Niederschlesien kommen.

Wie ist Ihr Buch von den Lesern aufgenommen worden?

Diese Geschichte wurde stillschweigend übergangen, denn die Menschen, die 1945 in dieses Gebiet kamen, brachten selbst Traumata mit und wollten nicht unbedingt darüber sprechen, was sie hier vor Ort vorgefunden hatten. Dennoch ist diesen Menschen jene Geschichte sehr bewusst, auch wenn sie nach wie vor verschwiegen wird.

“Nocami krzyczą sarny“ ist eine Geschichte, die meiner Fantasie entsprungen ist, aber sie hat einen starken Bezug zur Realität.

Deshalb erscheint die Aufdeckung dieses Themas heute allen wie eine neue Entdeckung, aber für diejenigen, die sich persönlich mit der Geschichte auseinandergesetzt haben, ist sie gar nicht neu. Ich habe viele E-Mails von Menschen erhalten, deren Familien in dieses Gebiet umgesiedelt wurden. Und dort gibt es viele dramatische und traumatische Geschichten. Kürzlich erhielt ich eine E-Mail von einer Frau, deren Familie von Lemberg nach Niederschlesien umgesiedelt wurde. Und weil es sich um eine Apothekerfamilie handelte, bekamen sie hier auch das Haus einer Apothekerfamilie. Nur, dass die deutsche Familie noch in ihrem Haus wohnte. Eines Morgens fanden die Polen die deutsche Familie tot im Salon. Sie hatten sich vergiftet, weil sie einfach nicht weggehen konnten, aber auch, weil sie diese neue Realität nicht ertragen konnten.
„Nocami krzyczą sarny“ ist eine Geschichte, die meiner Fantasie entsprungen ist, aber sie hat einen starken Bezug zur Realität und spiegelt das wider, was 1945 in Niederschlesien geschah. Meine Protagonistin ist von mir erfunden, aber die schlimmsten Geschichten, die ich beschreibe, vor allem den Moment, als die Rote Armee durchzog, habe ich auf den Berichten von Zeitzeugen, Deutschen, die dort lebten, aufgebaut. Ich musste also nichts besonders ausschmücken. Was meiner Protagonistin widerfuhr, was in diesem Dorf geschah und was mit den Menschen geschah, die in letzter Minute fliehen oder blieben und das schlimmste Grauen des Krieges erleben, basiert auf wahren Geschichten.
Ich habe also das Böse nicht einfach nur heraufbeschworen, um dem Leser unwahre Bilder zu zeigen, sondern es hat tatsächlich stattgefunden.

Katarzyna Zyskowska  Foto: Weronika Kuźma

Es gibt ein Element der Geschichte von 1945 in dem Roman, aber Sie haben auch gezeigt, dass die Geschichte nicht nur 1945 passierte und dass sie dann nicht zu Ende war. Die Folgen sind auch heute noch sichtbar, wofür Ihre Protagonistin das beste Beispiel ist.

Natürlich habe ich bei der Vorbereitung auf das Schreiben viel über generationsübergreifende Traumata gelesen, und angeblich, so die Psychologen, halten diese Traumata bis in die vierte Generation an. D. h. wir tragen die Traumata unbewusst noch drei Generationen nach solchen Ereignissen in uns und sie sind irgendwie in unser Leben eingeprägt, durch die Gesten unserer Vorfahren, aber auch im Stillen. Es ist alles irgendwo in uns.
Ich komme aus Masowien und das war während des Zweiten Weltkriegs auch kein besonders sicherer oder friedlicher Ort, sodass meine Großeltern auch einige Traumata hatten und nicht darüber sprachen. Es blieb alles im Bereich meiner Vermutungen. Ich denke also, dass die Überlebenden, die dem Bösen, das dort 1945 geschah, so unmittelbar und so nah ausgesetzt waren, einen Einfluss auf die nächste Generation gehabt haben müssen. Vielleicht werden meine Kinder, unsere Kinder, von diesem Trauma frei sein.

Beabsichtigen Sie, auf dieses Thema zurückzukommen, auf Niederschlesien in der schwierigen Zeit des Zweiten Weltkriegs?

Das ist natürlich ein so umfangreiches Thema, dass ich noch Platz für ein weiteres Buch hätte. Aber ich muss zugeben, dass es für mich eine schwierige Erfahrung war und ich definitiv eine Pause brauche. Vor allem, weil ich die wichtigsten Szenen des Buches letztes Jahr im Februar geschrieben habe. Um ehrlich zu sein, als mir das Konzept für das Buch in den Sinn kam, hatte ich nicht erwartet, dass ich über so aktuelle Themen schreiben würde. Denn als ich über den Einmarsch der Roten Armee in Niederschlesien schrieb, hatte der Krieg in der Ukraine gerade begonnen. Diese ersten Berichte aus Butscha, aus Mariupol, wo sich wiederholte, was Jahrzehnte zuvor geschehen war, waren schockierend und schwierig.
Diese Berichte über Vergewaltigungen und Morde an Zivilisten haben mich sehr betroffen gemacht und deshalb muss ich mir eine Pause von solch schweren Themen gönnen. Es berührt auch mich und ich erlebe es sehr tief, wenn ich über solche Themen schreibe, denn ich bin auch nur ein Mensch und diese Emotionen gehen mir sehr nahe.
Ich will damit aber nicht sagen, dass ich als Schriftstellerin nie wieder nach Niederschlesien zurückkehren werde, zumal ich hoffe, meinen Lebensabend in der Region zu verbringen, da ich dort ein Haus gebaut habe. Ich hoffe also, dass ich, wenn ich meinen Sprössling in die Welt hinausschicke, mehr Zeit in meinem geliebten Häuschen am Ende der Welt in diesem kleinen Dorf verbringen kann. Und dann werde ich irgendwann auf das Thema zurückkommen, aber ich muss mir eine Verschnaufpause gönnen.

Rudolf Urban

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