Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Mut zu neuen Wegen

 

Liebe Mitglieder der Organisationen der deutschen Minderheit in ganz Polen,
das ereignisreiche Jahr 2023 ist zu Ende gegangen. Es war für die deutsche Minderheit in Polen ein richtungsweisendes Jahr. Zum ersten Mal seit 32 Jahren hat sie keinen Abgeordneten im polnischen Parlament und die Diskriminierung der ca. 55 Tausend Kinder der deutschen Minderheit an den Schulen wurde fortgesetzt. Diese Themen haben uns in den letzten Monaten stark beschäftigt, denn wir wissen, wie wichtig die deutsche Sprache für die Pflege der Identität der deutschen Minderheit ist und wir wissen auch, wie wichtig die Rolle der Politik bei den auf die Minderheiten bezogenen Entscheidungsprozessen ist. Gerade aus dieser Sicht bringt die Parlamentswahl in Polen jedoch viel Hoffnung mit sich, denn die Wahl wurde von Parteien gewonnen, die sich selbst als demokratisch bezeichnen und deren Vertreter mehrmals betont haben, die diskriminierenden Verordnungen in Bezug auf die deutsche Minderheit rückgängig zu machen.
Erlauben Sie mir aber erst einmal noch einen kurzen Rückblick.

Deutschunterricht
Das Jahr 2023 war voller Sorgen und Herausforderungen für die Deutschen in Polen. Die am 4. Februar 2022 durch eine offizielle Verordnung eingeführte Diskriminierung der Kinder der deutschen Minderheit an den polnischen Schulen hat uns über das Jahr hinweg beschäftigt. Trotz der Gespräche mit Bildungsminister Przemysław Czarnek Ende 2022 in Warschau und schließlich am 22. Januar 2023 im Sitz des Verbandes deutscher sozial-kultureller Gesellschaften in Oppeln und trotz der Versprechen des Ministers, die diskriminierende Verordnung rückgängig zu machen, hat sich an der Tatsache, dass die Kinder anstatt drei nur noch eine Stunde Deutschunterricht als Minderheitensprache an den Schulen hatten, im Schuljahr 2023/2024 nichts geändert. Einen Lichtblick in diesem Bereich verschafften die Bürgermeister, die vor allem in der Woiwodschaft Oppeln dafür gesorgt haben, dass die Kinder zusätzliche Unterrichtsstunden, aus dem Haushalt der Gemeinden finanziert, erhielten. In dem größten Siedlungsgebiet der Deutschen waren es 40 von 54 Gemeinden, in denen Deutsch als Minderheitensprache angeboten wird, die sich zu diesem Schritt entschlossen haben. In den anderen Regionen, in denen auch viele Deutsche wohnen, sieht die Situation anders aus: in der Woiwodschaft Schlesien waren es lediglich wenige Gemeinden, die sich für die Finanzierung zusätzlicher Unterrichtsstunden entschieden haben und aus der Region Ermland-Masuren haben wir diesbezüglich keine einzige positive Nachricht erhalten.

VdG-Vorsitzender Rafał Bartek
Foto: Rudolf Urban

Die schwierige Situation, die durch die oben beschriebenen Ereignisse bedingt war, hatte auch Auswirkungen auf andere Tätigkeitsbereiche der deutschen Minderheit. Ihre beiden Vertreter haben sich an den Arbeiten der Gemeinsamen Kommission der Regierung und der Minderheiten, in der sie ihre Tätigkeit seit dem 1. April 2022 ruhen lassen, weiterhin nicht beteiligt. Das Thema der Diskriminierung bestimmte im Laufe des Jahres auch viele politische Gespräche der Vertreter der deutschen Minderheit sowie den Wahlkampf, an dem sich die Deutschen in der Woiwodschaft Oppeln wieder mit einer eigenen Liste beteiligt hatten. In anderen Regionen hingegen gab es nur vereinzelte Kandidaten der deutschen Minderheit auf verschiedenen Parteilisten.
Paralmentswahlen
Die Ergebnisse der Parlamentswahlen vom 15. Oktober 2023 bringen zwar Hoffnung mit sich, aber gleichzeitig auch die bittere Erkenntnis, dass es keinen Vertreter der deutschen Minderheit im polnischen Parlament mehr gibt. Die rekordhohe Wahlbeteiligung, die bei fast 75 Prozent lag, zeigt deutlich, wie wichtig und wegweisend die Wahl für die Bürgerinnen und Bürger Polens war. Die Menschen, darunter auch die Mitglieder der deutschen Minderheit, wollten eindeutig darüber mitentscheiden, in welche Richtung sich das Land in den kommenden Jahren entwickeln soll.

Die hohe Wahlbeteiligung und die starke Polarisierung der Gesellschaft, bei der auch die Mitglieder der deutschen Minderheit sich für die eine oder andere Seite der politischen Szene aussprachen, waren wohl die Hauptgründe dafür, dass es zum ersten Mal seit 1991 keinen Abgeordneten der deutschen Minderheit im Parlament gibt.
Dennoch verbinden wir große Hoffnungen mit dem Wahlausgang. Es wurden nämlich in den Wahlkampagnen anderer Parteien auch die Angelegenheiten der Minderheitenpolitik des Landes thematisiert. Dies war natürlich mit der anhaltenden Diskriminierung der Kinder der deutschen Minderheit verbunden. Es sollte jedoch betont werden, dass die Thematisierung der für die Minderheit wichtigen Fragen in der vielfältigen polnischen politischen Realität keineswegs selbstverständlich war und ist. Die Tatsache, dass die Oppositionsparteien die Wahl gewonnen und dabei versprochen haben, zur Rechtsstaatlichkeit und zu demokratischen Werten zurückzukehren, scheint fast eine Garantie dafür zu sein, dass auch die Diskriminierung der Kinder der deutschen Minderheit schnell ein Ende haben wird.

 

Deutsch-polnische Beziehungen
Auch die Rückkehr zu einer konstruktiven deutsch-polnischen Politik, die auf Partnerschaft und Vertrauen beider Seiten basiert, wird nicht einfach sein. Es darf nicht vergessen werden, dass acht Jahre antideutscher Politik nicht nur bei den Politikern, sondern auch in der polnischen Gesellschaft Spuren hinterlassen haben. Aus unserer Sicht bedarf es jetzt kluger Diplomatie sowohl von deutscher als auch von polnischer Seite sowie einer weiteren Stärkung der Zivilgesellschaft beider Länder. Gerade die deutsche Minderheit hat in den letzten Jahren immer wieder unter Beweis gestellt, dass sie mit ihren Projekten und Aktivitäten eine herausragende Rolle in diesem Bereich spielt.
Die zahlreichen Kleinprojekte, Sprachkurse, Samstagschulen und Miro Deutschen Fußballschulen, in denen auch die polnische Mehrheitsgesellschaft der jeweiligen Region mitwirkt, zeigen, dass gerade in diesen Regionen die deutsch-polnischen Beziehungen stärker und weniger anfällig für populistische politische Rhetorik sind.

Die deutsche Minderheit nahm an den Parlamentswahlen teil. Zu einem Sejmmandat hat es aber nicht gereicht.
Foto: SKGD

Nach den schwierigen Erfahrungen der letzten Jahre ist es aus unserer Sicht umso wichtiger, die deutsche Minderheit weiter zu stärken. Politische und finanzielle Unterstützung für Projekte im Bereich der Sprache und Kultur sowie bei der Gründung neuer Bildungseinrichtungen, die als Leuchtturmprojekte der deutsch-polnischen Verständigung wahrgenommen werden, erachten wir als die beste Investition zur Stärkung der so anfälligen deutsch-polnischen Beziehungen. Aus diesem Grund sind wir der deutschen Bundesregierung mit Natalie Pawlik, der Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten sowie Dietmar Nietan, dem Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit an der Spitze, für ihre dauerhafte Unterstützung, mit deren Hilfe wir auch neue Projektformate entwickeln konnten, sehr dankbar. Zwar hat es einige Anlaufschwierigkeiten gegeben und nicht alle Projekte konnten realisiert werden, aber wichtig ist, dass bei dem fehlenden Sprachunterricht an den Schulen sowohl Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene die Möglichkeit erhalten haben, auf andere Formate des Spracherlernens zugreifen zu können.

Ein Höhepunkt in diesem Kontext war am 11. September in Chronstau die Eröffnung des ersten katholischen, nichtöffentlichen Kindergartens mit Unterricht sowohl in polnischer als auch in deutscher Sprache. Neben der Schulen und Kindergärten in Raschau, Oppeln-Malino, Goslawitz, Cosel-Rogau gibt es damit eine weitere Einrichtung, die einen wegweisenden Charakter für die deutsche Minderheit in Polen haben wird.

Es muss aber auch bedacht werden, dass darüber hinaus neue Formate zur Unterstützung partnerschaftlicher Beziehungen zwischen den Bürgern beider Staaten, von denen unter anderem die deutsch-polnische „Kopernikus Gruppe“ bei ihrer Sitzung in Oppeln im April 2023 sprach, gerade jetzt in Erwägung gezogen werden sollten. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben bewiesen, dass Demokratie nicht als selbstverständlich empfunden werden kann, genauso wenig wie die Pflege der deutsch-polnischen Zusammenarbeit und der kulturellen Vielfalt, zu der natürlich auch die Pflege der kulturellen und sprachlichen Identität einer Minderheit gehört.

Zu Eröffnung des Kindergartens in Chronstau kam u.a. die Bundesbeauftragte für Aussiedlerfragen Natalie Pawlik (Bildmitte)
Foto: Lucas Netter

Selbstverwaltungswahlen 2024
Die große Chance, die sich aus dem Ausgang der Wahlen in Polen ergibt, sollte nicht verpasst werden. Dank ihr könnten alle Einrichtungen der deutschen Minderheit mit ihren Aktivitäten und Erfahrungen bei der Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen eine herausragende Rolle übernehmen. Dabei stellen die für in das Frühjahr 2024 verschobenen Selbstverwaltungswahlen auch für unsere Gemeinschaft eine wichtige Herausforderung dar. Die vergangenen Jahre haben uns nämlich sehr deutlich gezeigt, wie wichtig es ist, Ratsmitglieder und Bürgermeister auf verschiedenen Verwaltungsebenen zu haben, die nicht nur den Mehrwert der kulturellen Vielfalt verstehen, sondern sich auch aktiv für ihn einsetzen. Es ist wichtig, eigene Kandidaten aufzustellen, die sich gerade dafür einsetzen werden, denn sowohl die kulturelle Vielfalt als auch die deutsch-polnischen Beziehungen brauchen Menschen, die bereit sind, sich für beides zu engagieren.

Danke!
Am Jahresende möchte ich vor allem den engagierten Mitgliedern der Organisationen der deutschen Minderheit für ihre, in den meisten Fällen, ehrenamtliche Arbeit danken. In diesen Zeiten ist Ihre Arbeit nicht selbstverständlich, umso wichtiger sind alle Impulse für den Erhalt der Sprache, Kultur und Identität, die Sie in Ihren kleinen Gemeinschaften setzen.

Für das neue Jahr wünsche ich uns allen Mut, neue Wege zu beschreiten. Persönlich würde ich mich freuen, wenn nach den Gründungen von Vereinsschulen und Kindergärten in der Woiwodschaft Oppeln im Jahr 2023 auch in den anderen Regionen solche Initiativen entstehen würden. Diese Projekte sind sicherlich nicht einfach, aber die Lebendigkeit dieser Einrichtungen zeigt, dass es genau der richtige Weg für die Zukunft unserer deutschen Gemeinschaft ist. Weiterhin wünsche ich uns allen viele neue Ideen, viel Engagement und vor allem viel Sichtbarkeit der deutschen Minderheit in Polen! Ich wünsche Ihnen ein gutes Neues Jahr.

 

Rafał Bartek
Vorsitzender des Verbandes deutscher sozial-kultureller Gesellschaften in Polen

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