Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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„Schädlich und erfolglos“

„Die ‚Reparationskampagne‘ der Partei ‚Recht und Gerechtigkeit‘ (PiS) muss geprüft und abgerechnet [sic!] werden“ lautet der Titel eines Diskussionspapiers, das seit Dezember im Umlauf ist. Verfasst wurde es von Prof. Krzysztof Ruchniewicz, Direktor des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien der Universität Breslau (WBZ), sowie von Prof. Jan Barcz, ehemaliger Diplomat und Mitglied der „Konferenz der Botschafter der Republik Polen“ (KARP). Inhaltlich setzt sich das Dokument mit den Entschädigungsforderungen auseinander, die die vergangene polnische Regierung gegenüber Deutschland erhoben hat.

Wie Ruchniewicz und Barcz in einer kurzen Pressemitteilung verlauten, sei das Papier „das Ergebnis von Diskussionen, die mit den Mitgliedern der KARP und Mitarbeitern des WBZ im Rahmen eines von 2020 bis 2023 realisierten Projektes zum Problem der Reparationen und Wiedergutmachung nach dem Zweiten Weltkrieg“ geführt wurden. „Wir hoffen, dass unser Diskussionsvorschlag ein guter Ausgangspunkt für eine weitere fachkundige Debatte über dieses sensible Thema sein wird“, betonen die beiden Autoren.

In dem sechsseitigen Dokument, das sowohl in deutscher als auch in polnischer Sprache vorliegt, beschäftigen sie sich zunächst mit den Hintergründen, Motiven und Erfolgsaussichten der PiS-„Reparationskampagne“, die im September 2022 neuen Auftrieb bekam, als die damalige Regierung ihren „Bericht über die Verluste, die Polen aufgrund der deutschen Aggression und Okkupation in der Zeit des Zweiten Weltkrieges 1939–1945 erlitten hat“ veröffentlichte. Vorangetrieben wurde das Ganze von Arkadiusz Mularczyk, damals Staatssekretär im polnischen Außenministerium und Regierungsbeauftragter für die Reparationsforderungen Warschaus an die Adresse Berlins.

„Keine Aussicht auf Erfolg“

Wie Ruchniewicz und Barcz schreiben, habe die Forderung nach Reparationen an antideutsche Ressentiments angeknüpft und letztlich innenpolitische Ziele verfolgt. Zudem sei von „renommierten Historikern und Völkerrechtsexperten“ aufgezeigt worden, „wieso die im Rahmen der ‚Reparationskampagne‘ getroffenen Maßnahmen keine Aussicht auf Erfolg“ hätten. So seien im Zuge ebenjener Kampagne „rechtliche und politische Bedingungen der Nachkriegszeit völlig übergangen“ worden.

Prof. Krzysztof Ruchniewicz
Prof. Krzysztof Ruchniewicz
Foto: Krzysztof Ruchniewicz/wikimedia.org

Darüber hinaus habe die „Reparationskampagne“ der PiS „in der Gesellschaft Erwartungen geweckt und die Stimmung angeheizt, indem sie astronomische Zahlungen aus Deutschland versprach“. Dabei sei jedoch darüber hinweggesehen worden, „dass es weder eine Rechtsgrundlage noch ein Verfahren zur effektiven Geltendmachung solcher Ansprüche gibt“.

Dennoch könne man aus der „schädlichen und erfolglosen ‚Reparationskampagne‘ der PiS“ wichtige Lehren ziehen: „Einerseits hat sie gezeigt, wie anfällig die polnische öffentliche Meinung für Manipulationen im Zusammenhang mit antideutschen Ressentiments ist. Andererseits wies sie auf die Notwendigkeit hin, die historische und politische Bildung zu verbessern, deren Defizite vor allem bei den jüngeren Generationen in Polen und in Deutschland offensichtlich sind.“

Heute, nach acht Jahren destruktiver PiS-Regierung, sei der Zustand der deutsch-polnischen Beziehungen „dramatisch schlecht“. Nach dem kürzlichen Regierungswechsel müssten „diese Beziehungen dringend wiederhergestellt werden“, fordern Ruchniewicz und Barcz. „Ein wichtiger, auf dieses Ziel ausgerichteter Tätigkeitsbereich sollte darin bestehen, die Folgen der ‚Reparationskampagne‘ anzugehen“, schreiben sie weiter. Hierzu schlagen die Autoren verschiedene Maßnahmen vor, die sich auf drei Säulen stützen.

Drei Säulen

Die erste Säule sieht eine „bessere Versorgung der noch in Polen lebenden Opfer der NS-Verbrechen“ vor – denn „zweifellos“ könne Deutschland für diese nur noch etwa 45.000 Menschen umfassende Gruppe mehr tun. Zu erwägen seien deshalb der „Ausbau von Leistungen im Rahmen sogenannter humanitärer Aktionen“, die Zahlung von Renten an noch lebende ehemalige KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter sowie eine Unterstützung der noch lebenden ehemaligen Warschauer Aufständischen (circa 700 Menschen).

Prof. Jan Barcz
Prof. Jan Barcz bei einer Veranstaltung im Breslauer Willy-Brandt-Zentrum im November 2023
Foto: Lucas Netter

Als zweite Säule schlagen die Autoren die „Erstellung einer verlässlichen und glaubwürdigen Bilanz der von deutscher Seite an Polen und an die Opfer der NS-Verbrechen in Polen geleisteten Zahlungen im Zusammenhang mit den von Polen während des Zweiten Weltkrieges erlittenen Verlusten“ vor. Der genannte Bericht der nunmehr abgewählten PiS-Regierung dürfe „keine Informationsquelle über dieses tragische Kapitel der deutsch-polnischen Geschichte bleiben“ – denn er basiere auf einer „manipulierten Methodik“, enthalte „grundlegende Fehler und Unzulänglichkeiten“ und bleibe „ein Ausdruck der Parteipropaganda“. Vielmehr solle die neue polnische Regierung ein wissenschaftliches Projekt auf den Weg bringen, das unter anderem „den Verlauf und die Ergebnisse der Forschungen in Polen über die während des Zweiten Weltkrieges erlittenen Verluste und das Ausmaß dieser Verluste sowie die gesetzlichen Regelungen zu Reparationen und Entschädigungen von deutscher Seite“ beinhaltet.

Die dritte Säule verlangt „Rechenschaft über die Verschwendung öffentlicher Gelder für die ‚Reparationskampagne‘ der PiS unter der Leitung von Arkadiusz Mularczyk“. So seien für die Kampagne „enorme Summen öffentlicher Gelder ausgegeben“ worden, unter anderem für „unproduktive internationale Aktivitäten, für das Institut für Kriegsverluste sowie für die Ausarbeitung und Veröffentlichung eines wertlosen ‚Berichtes‘“. Derlei „Maßnahmen, insbesondere die Verschwendung öffentlicher Gelder für Parteizwecke, sollten professionell geprüft und ausgewertet werden“, heißt es in dem Papier.

Drei Themenbereiche

Unabhängig von diesen drei Säulen benennen Ruchniewicz und Barcz drei Themenbereiche, in denen die bilaterale deutsch-polnische Erinnerung intensiviert werden sollte. So regen sie die „Erarbeitung und konsequente Umsetzung eines gemeinsamen Plans zum Gedenken an die Verbrechen des Nationalsozialismus, einschließlich des Gedenkens an das Schicksal von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern“ an. Zum Beispiel müsse aktiv an der Einrichtung des Deutsch-Polnischen Hauses in Berlin mitgewirkt werden, damit die Präsenz des Themas der auf polnischem Territorium begangenen NS-Verbrechen gewährleistet werde.

Zweitens müsse es eine Intensivierung der Bemühungen um die Rückgabe geraubter Kulturgüter geben. So sei eine „Ausweitung der polnisch-deutschen Zusammenarbeit in diesem Bereich“ notwendig, „zumal gerade jetzt polnische Raubkunst aus dem Zweiten Weltkrieg vermehrt entdeckt“ werde.

Und drittens müsse die Arbeit an gemeinsamen Bildungsprogrammen über die deutsch-polnischen Beziehungen, insbesondere über die tragische Zeit des Zweiten Weltkrieges fortgesetzt werden. So solle „unverzüglich“ an der Aktualisierung des 2020 herausgegebenen vierten Bandes des gemeinsamen deutsch-polnischen Schulbuchs ‚Europa – Unsere Geschichte‘“ gearbeitet werden, „damit es als offizielles Schulbuch für den polnischen Schulunterricht zugelassen werden kann“. Auch ein zyklischer Wissenswettbewerb zur Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg für Jugendliche aus Polen und Deutschland solle ins Leben gerufen werden.

ln

Die polnischsprachige Version des Diskussionspapiers können Sie auf der Webseite „www.konstytucyjny.pl“ einsehen.

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