Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Die Gedanken sind frei

Fehlendes Verständnis

„Die deutschen Minderheiten (insbesondere in der ehemaligen Sowjetunion) haben als unmittelbare Folge des Zweiten Weltkrieges unter Entrechtung und Unterdrückung, Vertreibung und Verbannung gelitten. Oft mussten sie unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit (etwa in der sogenannten russischen „Trudarmee”) leisten. (…) Auch das Pflegen der deutschen Sprache und der deutschen Traditionen war lange untersagt. Vor dem Hintergrund der Mitverantwortung Deutschlands für dieses Schicksal unterstützt die Bundesrepublik die deutschen Minderheiten in ihren Herkunftsländern bei der Bewältigung ihres Kriegsfolgenschicksals. (…) Dies erfolgt gegenwärtig vor allem durch die Aufnahme von Spätaussiedlern und ihren Familienangehörigen nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG).“

Diese Worte kann man auf der Webseite des BMI in Berlin lesen, wo auch bestätigt wird, dass die deutschen Minderheiten in ihren Heimaten in der Sprach- und Kulturarbeit unterstützt und gefördert werden. Und das passiert auch in Polen, was dankbar zu erwähnen ist. Die Welt jedoch verändert sich, und heutzutage ist sie geprägt von dem schrecklichen Krieg, der sowohl in der Ukraine als auch in Russland viele Deutsche zu der Entscheidung gebracht hat, nach Deutschland auszuwandern. Das hat dazu geführt, dass die Realität des Weges nun deutlich sichtbar ist.

In der neuesten Ausgabe der „Moskauer Deutschen Zeitung“ gibt es einen Artikel mit dem vielsagenden Titel „Nicht deutsch genug?“, der mit der Information endet, dass in den letzten drei Jahren ungefähr 46.000 Anträge von Russlanddeutschen auf Anerkennung als Spätaussiedler gestellt und davon 21.500 positiv beschieden wurden. Das heißt, dass mehr als die Hälfte der Anträge entweder abgelehnt wurde oder immer noch im Bearbeitung ist. Und das ist nicht nur eine Statistik, weil hinter den Zahlen Menschen, ja ganze Familien stehen, die in der Vergangenheit als Deutsche deportiert wurden, Zwangsarbeit leisten mussten, als Feinde betrachtet und diskriminiert wurden – und jetzt ihre Nachfahren aus dem Bundesverwaltungsamt die Information bekamen, dass ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum fehle.

Laut dem Artikel werden auch Aktivisten der deutschen Minderheit, die Ortsgruppen führen oder kulturell dort tätig sind, als „zu wenig deutsch“ betrachtet. Viele der Ablehnungen sind mit einem sogenannten „Gegenbekenntnis“ argumentiert, das heißt mit Dokumenten, in welchen ein russischer beziehungsweise sowjetischer Beamter als Nationalität „russisch“ eingetragen hat. Ich kann hier den Artikel nicht zusammenfassen, aber ich verstehe, wie enttäuscht und verletzt sich die Deutschen fühlen müssen, denen ihre eigene und gefühlte, durch Generationen getragene deutsche Identität, die unter den oft feindlichen Bedingungen bewahrt wurde, von einem bundesdeutschen Beamten verneint wird. Und das betrifft nicht nur Russland, nicht nur die Ukraine und GUS-Länder, sondern auch uns, zum Beispiel hinsichtlich unseres Wahlrechts in Deutschland.

Bernard Gaida

Artikelfoto: tillbrmnn/pixabay.com

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