Offenheit oder Schließung
Wenn man in Polen lebt, ist man daran gewöhnt, dass sich der Gegenstand und das Ausmaß einiger politischer Auseinandersetzungen jeder Vernunft zu entziehen scheinen. Dennoch beteiligen sich die meisten Politiker mit aller Ernsthaftigkeit und allem Engagement daran. Für Politiker, die versuchen, in dieser Debatte auf reale Probleme aufmerksam zu machen, ist es schwierig, sich durchzusetzen, insbesondere für diejenigen, die diese eingehend analysieren und mit ihren Argumenten überzeugen wollen. Aus diesem Grund diskutieren wir seit mehreren Tagen darüber, ob eine Million Menschen in Warschau demonstriert haben oder nicht – als ob das von Bedeutung wäre.
Doch was für persönliche Entscheidungen wichtig ist, ist nicht eine Zahl, sondern ein Unterschied in der Mentalität, der die einen Menschen unter freiem Himmel versammelte, um Offenheit zu demonstrieren, und andere im dunklen Inneren des Spodek in Kattowitz auf einer für die Öffentlichkeit geschlossenen Veranstaltung. Und dieser Mentalitätsunterschied, der über die Jahre und nicht nur im Wahlkampf sichtbar ist, muss von allen berücksichtigt werden, denn bei den Wahlen geht es um eine unvorhersehbare Zukunft. Das Einzige, was wir über sie wissen, ist, dass sie uns überraschen und Entscheidungen erfordern wird, die sowohl unseren Lebensstandard als auch unsere Sicherheit bestimmen.
In der Slowakei wurde ein Block euroskeptisch orientierter Parteien gewählt, die mit vielen Forderungen eines aggressiven Russlands sympathisierten und kleine lokale Bündnisse über eine offene Vision einer integrierenden Europäischen Union stellten. Wird Polen nach den Wahlen auf derselben Linie bleiben? Wird es weiterhin das Land sein, das in der gesamten EU Unterstützer sucht, um sie zu schwächen? Natürlich konzentriert sich die Regierungspartei lieber auf den Streit um die Zahl der Marschteilnehmer, als ihre Karten bei einem so wichtigen Thema wie dem Vorhandensein und der Qualität der EU-Mitgliedschaft offenzulegen.
Wie viele andere bin ich kein blinder Befürworter der derzeitigen Funktionsweise der EU-Strukturen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Europäische Kommission die diskriminierende Politik der polnischen Regierung gegenüber der deutschen Minderheit ignoriert und eine ablehnende Haltung gegenüber der Übernahme jeglicher Verantwortung für die Minderheitenpolitik einnimmt. Und doch können nur diejenigen, denen die EU am Herzen liegt und nicht nur ihr Geld, diese auch verändern. Deshalb ist es gut, dass die Denkweise der Regierungspartei, die beschwört, nicht für einen Austritt aus der EU zu sein, von der mit ihr sympathisierenden Wochenzeitung „Do Rzeczy“ entlarvt wird, indem sie einen Artikel mit der Überschrift „Ja. Man sollte aus er EU austreten“ veröffentlicht.
Mein jüngstes Gespräch mit einem Beamten der Europäischen Kommission zeigte, dass Polen derzeit als passives Mitglied betrachtet wird, das darauf konzentriert ist, jeden EU-Kompromiss anzufechten. Die Frage ist, ob man sich den Herausforderungen der Zukunft in einem geschlossenen autoritären Staat oder in einer offenen Gruppe europäischer Demokratien stellen soll.
Bernard Gaida
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