Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Für Sie gelesen

“Von allen Welten, die der Mensch geschaffen hat, ist die Welt der Bücher die gewaltigste” – es war der deutsche Dichter und Schriftsteller Heinrich Heine, der mit diesem Zitat die menschliche Faszination für Literatur treffend auf den Punkt gebracht hat. Mit acht vorgestellten Büchern, gelesen und zusammengefasst von Mitgliedern der Redaktion, geben wir Ihnen neue Eintrittskarten für diese geheimnisvolle Welt an die Hand. Ein Streifzug durch literarische Neu- und Wiederentdeckungen.

 

 

 

Suche nach eigenen Wurzeln

Ein Buch über die Suche nach den eigenen Wurzeln, aber nicht nur das. „Duchy domu. Czerniowce w żydowskiej pamięci” („Geister der Heimat: Das Jenseits von Czernowitz im jüdischen Gedächtnis“) ist auch ein Portrait einer einst wahrhaft multikulturellen Stadt.

In Czernowitz (heute Ukraine) lebten Juden, Polen, Deutsche, Russen, Rumänen, Moldauer, Roma, Österreicher und Bukowinadeutsche. Die Stadt befand sich an der Schnittstelle verschiedener Imperien. Ihr Schicksal wurde jahrhundertelang davon bestimmt. Hier wechselten oft die Machthaber. Doch es gab auch friedliche Perioden. Seine Glanzzeit erlebte Czernowitz unter der Herrschaft der Habsburger. Der Zweite Weltkrieg zog einen Schlussstrich unter das multikulturelle Zusammenleben der verschiedenen Völker und Religionen. Die Juden, die nicht ermordet wurden, emigrierten in den Folgejahren. Die jüdische Gemeinde von Czernowitz in der Diaspora hält heute noch weltweit durch die Zeitung „Die Stimme“ untereinander Kontakt. Heute ist Czernowitz eine ganz andere Stadt als vor dem Zweiten Weltkrieg und ein Schatten seines alten Selbst.

Im Jahr 1998 machen sich Marianne Hirsch und ihr Ehemann Leo Spitzer zusammen mit den aus Czernowitz stammenden Eltern auf den Weg in die alte Heimat und auf die Suche nach der verlorenen Geschichte ihrer Familie. Das war aber nur die erste von vielen Reisen, die die Autoren des Buches seither nach Czernowitz unternommen haben. Der Versuch, die Geschichte der eigenen Familie wiederherzustellen, resultierte darin, dass die Geschichte einer längst vergangenen Stadt wiederentdeckt wurde.

Marianne Hirsch prägte den Begriff „Postmemory“, um das Verhältnis der Kinder der Holocaust-Überlebenden zu den Erinnerungen ihrer Eltern zu beschreiben, das in einem Trauma resultiert, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Die Themen seelisches Trauma, das vererbt wird, Verlust, aber letztendlich das Überleben sind in dem Buch „Geister der Heimat: Das Jenseits von Czernowitz im jüdischen Gedächtnis“ sehr präsent. Keine leichte Lektüre, aber eine, die man nicht vergisst.

Marianne Hirsch, Leo Spitzer
Duchy domu. Czerniowce w żydowskiej pamięci
Wydawnictwo Czarne, 2023


Meine Heimaten

Das Buch „Herkunft” von Saša Stanišić erschien in Deutschland schon 2019. In Polen kam es unter dem, auch sehr passenden, Titel „Skąd“ 2022 heraus. Erst aber in diesem Jahr erhielt Saša Stanišić für den Roman den Mitteleuropäischen Literaturpreis „Angelus”.

Der Lebenslauf des Schriftstellers macht ihn geradezu perfekt für den Angelus-Preis. Im Alter von 14 Jahren musste Stanišić zusammen mit seiner Mutter das ehemalige Jugoslawien verlassen. In Deutschland kam er als Kriegsflüchtling an. „Herkunft“ ist ein durchaus autobiographisches Buch, in dem der Schriftsteller seine Kindheit in Jugoslawien beschreibt, die Flucht und die Ankunft in Deutschland. Er erzählt, wie die Wirklichkeit eines jungen Immigranten aussah, wie er versucht hat, sich in dem neuen Leben wiederzufinden. Er stellt aber auch Fragen, zum Beispiel inwiefern der Ort, an dem wir geboren werden, unser Leben und seinen Verlauf beeinflusst. „‘Herkunft‘ ist ein Buch über den ersten Zufall unserer Biografie: irgendwo geboren werden. Und was danach kommt. ‚Herkunft‘ ist ein Buch über meine Heimaten, in der Erinnerung und der Erfindung. Ein Buch über Sprache, Schwarzarbeit, die Stafette der Jugend und viele Sommer. Den Sommer, als mein Großvater meiner Großmutter beim Tanzen derart auf den Fuß trat, dass ich beinahe nie geboren worden wäre. Den Sommer, als ich fast ertrank. Den Sommer, in dem die Bundesregierung die Grenzen nicht schloss und der dem Sommer ähnlich war, als ich über viele Grenzen nach Deutschland floh“, schreibt Saša Stanišić in seinem Vorwort zum Buch.
Der Schriftsteller zeigt aber mit seinem Buch auch, wie miteinander verflochten und vermischt das europäische Schicksal mit der Vergangenheit des Kontinents ist. Die „Angelus“-Jury bezeichnete Stanišićs Prosa als „neueuropäisch“, die den Kern, das Wesen, unserer Zeit berührt. Er sei ein spannender Gegenwartsautor, der dabei nicht nur ernste Töne anschlägt, sondern die Welt und die Menschen mit viel Humor beschreibt.

Saša Stanišić, Skąd (Herkunft)
Wydawnictwo: Książkowe Klimaty, 2022


Mein Gott, wie schön!

Filip Springer muss man kaum einer polnischsprachigen Leseratte vorstellen. Doch nach dem Buch „Kupferberg: der verschwundene Ort“ dürfte der Reporter und Fotograf auch im Ausland einigen ein Begriff sein. 2023 erschien sein neuestes Buch, mit dem vielsagenden Titel „Mein Gott, jak pięknie!“ („Mein Gott, wie schön“).

Auf die deutsche Version werden sich deutschsprachige Leser noch gedulden müssen, dennoch können das Buch zumindest schon mal von seiner visuellen Seite genießen, es enthält nämlich jede Menge toller Fotos – schließlich ist Springer auch ein preisgekrönter Fotograf.
Das Buch hat ein bisschen von allem. Es ist eine Art Reiseführer, Tagebuch, Reportage (auch wenn der Autor behauptet, es sei keine) und Roman. Und die Hauptprotagonistin ist die Landschaft selbst. Springer macht sich mit seinem Fahrrad auf den Weg in die ehemaligen deutschen Ostgebiete, heute noch von vielen in Polen als „Wiedergewonnene Gebiete“ bezeichnet. Der Autor sucht nach Spuren von Menschen, die, getrieben von der Vision des Fortschritts, zur industriellen Revolution beigetragen haben und infolge dieser zu einer Umwandlung ihrer Umwelt beigetragen haben. Ein Teil des Handlung spielt sich an der Oder ab, ein anderer in den Prökelwitzer Wäldern (Prakwice) des ehemaligen Ostpreußens, wo „Kaiser Wilhelm II., von eigenen Dämonen geritten, alle Hirsche ausrotten ließ“.
Die deutsche Wendung im Titel „Mein Gott“ benutzt Springer nicht zufällig. Schließlich spielt sich die Handlung des Buches in den ehemals deutschen Gebieten ab. Und vielleicht will er den Leser damit auch ein bisschen provozieren. Ein weiterer Beweis: Auch viele der Ortsnamen und geographische Bezeichnungen werden auf Deutsch angegeben: Riesengebirge, Ratibor, Oderbruch, um nur einige zu nennen. Für viele Schlesier Alltagsbrot – doch für Polen aus Zentralpolen kann es schon mal exotisch klingen. Und vielleicht war das auch Springers Ziel: ein Land und eine Landschaft zu zeigen, die bekannt sind, aber doch irgendwie fremd und eigen bleiben.


Filip Springer, Mein Gott, jak pięknie!
Wydawnictwo Karakter, 2023


Oma, die Spezialagentin

Die meisten Kinder heutzutage sind Lesemuffel. Es macht also wenig Sinn, hier für sie Romane vorzustellen. Das Einzige, was meine Kinder lesen, sind Comics. Und ehrlich gesagt, habe ich mich damit abgefunden. Mehr noch: Manche von ihnen lese auch ich gerne, weil sie wirklich super sind und tolle Protagonisten haben, wie die „Weltraumpolizistin Oma Gurke“.

Oma Gurke lebt im Seniorenheim und langweilt sich. Sie hofft, dass endlich wieder etwas Spannendes in ihrem Leben passiert. Doch manchmal muss man aufpassen, was man sich wünscht. „Die alte Dame konnte doch nicht ahnen, dass so ein kleiner Stoßseufzer sie aus ihrem Seniorenheimzimmer gleich auf den Lichtjahre entfernten intergalaktischen Handelsposten Alpha Centauri 43B versetzt, wo sie in der Rüstung einer Weltraumpolizistin auf Verbrecherjagd geschickt wird“, steht es in der Comic-Beschreibung auf der Homepage des Kibitz-Verlags. Doch genau das passiert und Oma Gurkes Leben wird nie wieder so wie vorher. Ihren Platz im Seniorenheim nimmt dagegen zufällig ein klappriger Kampfroboter ein, was weitere unvorhersehbare Folgen für die irdische und außerirdische Weltordnung hat.
Patrick Wirbeleit und Stephan Lomps Comic ist eine rasante Weltraumkomödie mit einer ungewöhnlichen Heldin gelungen. Aber welches Kind würde nicht gerne eine Weltraumpolizistin als Oma haben? Die dank ihrer Strickkunst geheime Botschaften verschicken kann? Auf Helga-Centauri ist halt alles anders als auf der Erde.
Der Comic ist actionreich, voller Verfolgungsjagden und mit viel Humor geschrieben. Eine Überraschung folgt auf die andere, es gibt keine Zeit für Langeweile. Die Dialoge sind manchmal tiefsinnig, manchmal nicht. Der Wortschatz ist aber nicht sehr kompliziert und mit den Bildern als Unterstützung versteht auch ein junger Deutschlernender, worum es geht. Hoffentlich macht Oma Gurke als Weltraumpolizistin bald ein Comeback mit einer zweiten Geschichte.
Den Comic kann man auf Amazon bestellen.


Patrick Wirbeleit und Stephan Lomp, Weltraumpolizistin Oma Gurke
Kibitz-Verlag, 2023

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