Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Kleine Perle Oberschlesiens

Leobschütz liegt 5 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt. Im 13. Jahrhundert war Leobschütz sogar Zentrum des obersten Stadtrechts, das heißt, es verlieh Stadtrechte. Und zwar in einem kleinen Teil Schlesiens und einem beträchtlichen Teil von Mähren.

Der Marktplatz in Leobschütz hat die Form eines Halbkreises, was davon zeugt, dass die Stadt nicht auf dem Magdeburger Recht aufgebaut wurde, sondern auf dem eigenen, Leobschützer Stadtrecht. „In Europa gibt es nur drei Städte, die so eine Ringform haben, und zwar Leobschütz, Neisse und eine Stadt in der Slowakei“, sagt Dr. Barbara Piechaczek, Direktorin des Leobschützer Landkreismuseums.

Rathaus bis 2004 eine Ruine

Das Rathaus wurde im 15. Jahrhundert im spätgotischem Stil erbaut. „200 Jahre später wurde das Rathaus im Stil der Spätrenaissance umgebaut. Es war eines der schönsten und größten Renaissance-Rathäuser in Schlesien. Im 19. Jahrhundert erwies sich das Rathaus als zu klein und wurde wieder umgebaut. Während des 2. Weltkrieges wurde es von einer Brandbombe getroffen und zerstört. Die Ruine stand bis 2004. Wiederaufgebaut wurde das Rathaus erst in den Jahren 2004-2008. Es beherbergt heute unser Museum des Leobschützer Landes und die Bibliothek“, berichtet die Museumsdirektorin.

Unter dem Rathaus wurde eine echte Rarität entdeckt: eine Straße mit Pflastersteinen aus dem Mittelalter, die so erhalten geblieben ist, wie sie damals war. Von der Straße aus sind noch 6 Eingänge in die damaligen Gewandhäuser erhalten, die 100 Jahre älter sind als jene in Krakau. „Vielleicht waren die Leobschützer fortschrittlicher. Sie haben ihre zwölf Gewandhäuser nicht aufgegeben, von denen sechs erhalten geblieben sind, die wir heute sehen. Über dem Waage- und Maßhaus haben sie ein Kaufhaus gebaut. Heute hätten wir es als Einkaufspassage bezeichnet, in der man Handel betreibt. In den Gewandhäusern wurde dagegen das Stapelrecht vollzogen“, erzählt Barbara Piechaczek, die sich freut, dass es gelungen ist, die Straße den Museumsgästen zugänglich zu machen. Vom Rathausturm, der ebenfalls für die Museumsbesucher zugänglich ist, kann die ganze Stadt mit ihren vielen alten Bäumen und Grünanlagen bewundert werden.

Kirche Mariä Geburt

Die erste urkundliche Erwähnung der Pfarrkirche Mariä Geburt stammte aus dem Jahr 1259. Die Kirche wurde bis ins 20. Jahrhundert immer weiter ausgebaut. „Es ist eine außergewöhnliche Kirche, weil es eine Hallenkirche ist, in der alle Schiffe gleich sind. Dies sollte davon zeugen, dass alle Stadtbürger gleich sind. Die Kirche hatte ein langes Presbyterium. Während eines Umbaus wurde an dessen Stelle ein Querschiff hineingestellt. Das Presbyterium wurde gekürzt, weil dort die Straße verlief. So sieht es bis heute aus“, erklärt Barbara Piechacze.

 

Spitzige Basteien

Unweit der Kirche sind die recht gut erhaltenen Stadtmauern mit den einzigartigen Wehrtürmen zu sehen: „Die Basteien haben die Form einer Spitze. Keine anderen Stadtmauern in Polen besitzen solche Basteien. Sie wurden auf der Basis einer neuen Verteidigungsphilosophie gebaut. Diese Form hat den Bogenschützen erlaubt, die Stadt besser zu verteidigen. Solche Lösungen gibt es in Frankreich und im Nahen Osten“, weiß die Historikerin Barbara Piechaczek zu berichten.

Franziskanerkloster

In Leobschütz steht auch ein Franziskanerkloster aus dem 15. Jahrhundert. Das Kloster passte gerade noch so in die Stadt hinein. „Die Franziskaner sind ein Bettlerorden, daher konnten sie sich nur in der Nähe der Stadtmauern oder gleich dahinter niederlassen. Das erwies sich als schwierig, weil das Gebiet sumpfig war. Deswegen wurde das Kloster in einen Teil der Stadt hineingequetscht, wo es noch etwas Platz gab. Dort befand sich auch das Gebäude, in dem Öl gepresst wurde. In der Umgebung wurden nämlich Lein und Getreide angebaut und Vieh, vor allem Schafe, gezüchtet“, so die Museumsdirektorin.

Größte Schicksalsschläge

Die größte Rückentwicklung erlebte die Stadt während der Reformation und der späteren Gegenreformation. In beiden Fällen mussten die Menschen, die den neuen Glauben nicht annehmen wollten, die Stadt verlassen, erzählt Barbara Piechaczek. „Es gibt schriftliche Erwähnungen von Fällen, in denen Kinder entführt und an Internatsschulen der Jesuiten in Troppau übergeben wurden. Auf den Dörfern konnte man den evangelischen Glauben beibehalten. Deswegen gibt es in vielen Dörfchen in der Umgebung zwei Kirchen. Die evangelischen waren zuvor als katholische Kirchen im gotischem Stil gebaut worden. Im 18. und 19. Jahrhundert entstanden die heutigen katholischen Kirchen“, sagt Dr. Piechaczek.

Vielfalt

Nach dem ersten Schlesischen Krieg 1740-1742 zwischen Maria Theresia und Friedrich dem Großem fiel Leobschütz an Preußen, so herrschte auf diesem Gebiet kulturelle und religiöse Vielfalt, sagt Barbara Piechaczek: „Erst die evangelischen Hohenzollern, danach wieder die katholischen Liechtensteins. Nach den Schlesischen Kriegen wurde Leobschütz von den Gebieten getrennt, die der Stadt nahestehen, also Troppau.“ Die Bürgerschaft in Leobschütz war also kulturell und religiös gemischt. Doch die Menschen sind gut miteinander ausgekommen. Viele Töchter und Söhne der Stadt haben in verschiedenen Bereichen einiges bewegt. „Aus dieser Stadt stammt die Familie Hollaender. Jedes der acht Kinder hat sich auf irgendeine Weise in die Geschichte eingeschrieben. Die Musik zum Film ‚Der Blaue Engel‘ schrieb Victor Hollaender. Aus dieser Familie stammen auch ein Schriftsteller, Übersetzer, wunderbare Brauer und Ärzte“, zählt die Museumsdirektorin auf. Von den einstigen Brauereien der Stadt ist nur noch eine im Teilbetrieb tätig und stellt Malz her.

Obwohl die Stadt bereits 1885 per Eisenbahn mit Ratibor verbunden wurde, ist Leobschütz seit dem Jahr 2000 nur noch über das Straßennetz zu erreichen. Nun sollen die Eisenbahnlinien revitalisiert werden, und 2029 soll die kleine Stadt mit der großen Geschichte erneut an den Zugverkehr angeschlossen werden.

Manuela Leibig

 

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