Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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„Polen ist kein Juniorpartner“

Mitte November stellte der ehemalige Deutsche Botschafter in Polen, Arndt Freytag von Loringhoven, das Buch „Nie budujemy IV Rzeszy“ („Wir bauen kein Viertes Reich auf“) erstmals der Öffentlichkeit vor. Die entsprechende Veranstaltung im Breslauer Willy-Brandt-Zentrum stand dabei unter dem Motto „Deutschland und Polen stehen vor neuen Herausforderungen“.

Bei dem genannten Sachbuch handelt es sich weniger um die Erinnerungen eines Botschafters a. D. an seine Zeit in der Welt der Diplomatie oder um Einlassungen zu tagesaktuellen politischen Entwicklungen. Vielmehr ist das Ganze ein langes – in elf Kapitel beziehungsweise Themenbereiche aufgeteiltes – Interview, das der Journalist Jędrzej Bielecki von der „Rzeczpospolita“ mit Arndt Freytag von Loringhoven führte, als dieser noch als deutscher Botschafter in Warschau fungierte (2020 bis 2022).

Der frühere Spitzendiplomat muss sich dabei einigen durchaus kontroversen und teils auch provozierenden Fragen stellen, darunter: „Wäre Wladimir Putin ohne die Milliarden Euro, die Deutschland für russisches Gas bezahlt hat, in der Lage gewesen, in die Ukraine einzumarschieren? Sollten Schlesien, Pommern und Masuren in die Reparationen einbezogen werden, die Deutschland für den Zweiten Weltkrieg an Polen zahlte? Warum wissen die Deutschen viel über den Holocaust, aber wenig über die Morde an Polen, die nicht jüdischer Herkunft waren?“

Arndt Freytag von Loringhoven Buch
Cover des Buchs
Foto: Bellona-Verlag

Am 14. November wurde das Buch, das ausschließlich in polnischer Sprache erhältlich ist (Bellona-Verlag, 39,90 PLN) und an dem auch der polnische Historiker Eugeniusz Cezary Król mitarbeitete, nun erstmals öffentlich vorgestellt – und zwar im Breslauer Willy-Brandt-Zentrum. „Das zeigt, dass in Breslau ganz wichtige Dinge passieren“, sagte der dortige deutsche Generalkonsul, Martin Kremer, zu Beginn der Nachmittagsveranstaltung in einigen Begrüßungsworten. Er fügte hinzu: „Wir haben hier heute die Gelegenheit, den deutsch-polnischen Dialog wieder voranzubringen. ‚Wieder voranzubringen‘ heißt: Chancen zu nutzen, die sich nach dem 15. Oktober (dem Tag der Parlamentswahl in Polen, deren Ergebnis einen Regierungswechsel in Aussicht stellte, Anm. d. Red.) ergeben haben.“

„Starke Asymmetrien im Dialog“

Moderiert wurde das gut besuchte Treffen von Krzysztof Ruchniewicz, dem Direktor des Willy-Brandt-Zentrums. Zentraler Gast war freilich Arndt Freytag von Loringhoven, der auf eine mehr als 35-jährige Karriere nicht „nur“ im Auswärtigen Amt, sondern auch beim Bundesnachrichtendienst und bei der NATO zurückblicken kann.

Arndt Freytag von Loringhoven
Arndt Freytag von Loringhoven (mittig im Bildhintergrund) und Krzysztof Ruchniewicz (links im Bildhintergrund) im Austausch mit dem Publikum
Foto: Lucas Netter

In einer kurzen Vorbemerkung erklärte dieser seine Sicht auf die jüngere Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen: „In meiner Wahrnehmung ist der Dialog zwischen Polen und Deutschen fast zusammengebrochen. Und das ist wirklich katastrophal. Nicht nur waren die Politik und die Kooperation schwierig, sondern wir haben meist übereinander gesprochen und sehr wenig miteinander. Die Stereotypen und oft auch die Anschuldigungen von polnischer Seite haben den Alltag charakterisiert“, so Freytag von Loringhoven.

Von deutscher Seite habe es eher „eine gewisse Abwendung“ und „viel zu wenig Interesse“ gegeben. Die Folge seien sehr starke Asymmetrien im Dialog gewesen. Ebenjener Dialog sei aber die „absolute Voraussetzung“ dafür, dass „wir das Werk der Versöhnung zwischen unseren Völkern weiterbetreiben können, und dass wir bilateral, aber auch auf europäischer Ebene, kooperieren.“

„Niemals allein“

Das weitere Gespräch mit Freytag von Loringhoven drehte sich dann im Kern um die Spezifika der deutsch-polnischen Beziehungen. Angesichts der gewachsenen Rolle Polens in der Europäischen Union und der NATO sagte der 67-Jährige: „Die Deutschen müssen heute noch mehr begreifen, dass Polen kein Juniorpartner ist.“ Denn mit dieser Prämisse hätten nicht wenige seiner Landsleute – wenn auch mit Wohlwollen – insgeheim auf das östliche Nachbarland geblickt. Diese Einstellung müsse aber vorbei sein, denn Polen habe sich sehr stark entwickelt und modernisiert. Deutschland stehe nun vor der Aufgabe, diese Entwicklung zur Grundlage der Beziehungen zu machen.

Auch die in Polen noch immer vielerorts zu spürende Furcht vor einem zu dominanten Deutschland wurde thematisiert. Hierzu sagte Freytag von Loringhoven, dass er diese Ängste nach den Traumata der Geschichte selbstverständlich nachvollziehen könne. Er betonte zudem, dass Deutschland nicht immer sehr sensibel bei der Vertretung der eigenen Interessen vorgehe. „Meines Erachtens können wir unsere Interessen ohnehin nur in einer Führung in Partnerschaft verwirklichen, aber niemals allein“, betonte er.

Angesichts des Wechsels der polnischen Regierung, der zum Zeitpunkt der Veranstaltung zwar noch nicht vollzogen, wohl aber schon absehbar war, sagte der Diplomat im Ruhestand: „Ich denke, dass der Regierungswechsel ganz neue Chancen eröffnet. Denn wir erwarten, dass die neue Regierung mehr auf Zusammenarbeit setzt und weniger auf Konkurrenz.“

ln

Die Buchvorstellung am 14. November 2023 wurde veranstaltet vom Willy-Brandt-Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Breslau in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Generalkonsulat in Breslau, der Friedrich-Ebert-Stiftung in Warschau, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst sowie der Botschafterkonferenz der Republik Polen. Im Anschluss daran fand noch eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Polen-Deutschland-Ukraine“ statt, an der neben Arndt Freytag von Loringhoven auch die Politikwissenschaftlerin Agnieszka Bryc (Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń) sowie die ehemaligen polnischen Diplomaten Jan Barcz, Piotr Ogrodziński und Jan Truszczyński teilnahmen.

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