Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

„Zu viel Geschichte, zu viel Persönliches, zu viel Lagerdenken“

Die hitzige und oftmals antideutsche Rhetorik im polnischen Wahlkampf wird auch von den Medien in Deutschland zur Kenntnis genommen.

„Regierungspartei PiS verschärft im Wahlkampf antideutsche Töne“ – so lautete am Freitag vergangener Woche (11.08.) bei „WELT Online“ die Schlagzeile zu einer Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Es ging darin um Jarosław Kaczyński, der der Opposition und „den Deutschen“ vorwarf, polnische Unternehmen ausverkaufen zu wollen. „Die Deutschen wollen Donald Tusk in Polen einbetten, um polnische Vermögenswerte zu privatisieren und zu veräußern“, behauptete der PiS-Chef in einem Videobeitrag zum offiziellen Auftakt des Wahlkampfs. Unter anderem auch die „Tagesschau“, das „Handelsblatt“ und der Berliner „Tagesspiegel“ berichteten auf ihren Webseiten über diesen neuerlichen Ausfall in Richtung Deutschland.

Jarosław Kaczyński
Foto: Kancelaria Prezesa Rady Ministrów/wikimedia.org

Spätestens seitdem der hiesige Wahlkampf immer mehr an Fahrt aufnimmt, spielt die Parlamentswahl, die für den 15. Oktober angesetzt wurde, auch in den deutschen Medien eine größere Rolle – nicht zuletzt deshalb, weil in der Wahlkampagne der Regierungsparteien immer wieder auch Deutschland zum Thema gemacht und die Rolle als Buhmann zugeschoben wird.

So war schon zu Beginn letzter Woche mit dem CSU-Mann Manfred Weber ein Deutscher das Ziel der Angriffe einiger Regierungspolitiker: Der Partei- und Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament hatte in einem ZDF-Interview von der PiS als „Gegner“ gesprochen; aus diesem Begriff machte die polnische Regierung kurzerhand ein „Feind“ – und echauffierte sich entsprechend über diese vermeintliche Entgleisung Webers und die angebliche Einmischung in den polnischen Wahlkampf. „Wenn die Deutschen offen zugeben, dass sie in die Wahlen in Polen eingreifen werden, dann sollen sie auch mit offenem Visier antreten. Herr Weber, schicken Sie nicht ihren Helfer Donald Tusk vor. Stellen Sie sich der Debatte!“, schäumte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und forderte Weber zum TV-Duell – was natürlich auch von zahlreichen deutschen Medien zum Anlass für eine breite Berichterstattung genommen wurde.

Manfred Weber
Foto: CC-BY-4.0: © European Union 2019 – Source: EP

Ebenjene Berichterstattung über den Wahlkampf beschränkt sich allerdings nicht auf das antideutsche Getöse; vielmehr finden sich in der Presse vermehrt auch Hintergrundberichte über innenpolitische Diskussionen. So erklärte Maciej Górny, Osteuropahistoriker an der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau, in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ dem deutschen Publikum unlängst die Kontroverse um die Holocaust-Forscherin Barbara Engelking, die für ihre Aussage zu Denunziationen von Juden durch Polen während der Shoah unter anderem von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki heftig kritisiert wurde. Barbara Engelking sah sich in der Folge einem Sturm der Entrüstung ausgesetzt, an dem auch Bildungsminister Przemysław Czarnek seinen Anteil hatte. „Die Aussagen von Minister Czarnek, Ministerpräsident Morawiecki, Regierungsmedien und einigen rechten Wissenschaftlern lassen sich dabei leicht entschlüsseln. Im Oktober finden Wahlen statt, und der Angriff auf die polnische Holocaustforschung dient zweifellos der Mobilisierung eines Segments der rechten Wählerschaft“, analysierte Górny in seinem Artikel.

Auch über die Massenproteste gegen die Regierung in Warschau und anderen Städten Anfang Juni wurde detailliert berichtet. In einem Kommentar in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 6. Juni schrieb die Warschau-Korrespondentin des linksliberalen Blatts, Viktoria Großmann, dass die PiS es ihrer eigenen Politik anrechnen könne, „dass Tusks ‚Großer Marsch für die Demokratie‘ riesig wurde“. Die Journalistin sieht ein großes Problem in diesem Wahlkampf: „Zu viel Geschichte, zu viel Persönliches, zu viel Lagerdenken. Viel zu wenige Inhalte, als da wären: Bekämpfung der Inflation, Bildung, gerechte Gesundheitsversorgung, Ersatz für die Kohle als Energieträger.“ Weiter schreibt sie: „Die Opposition verharrte bisher vor allem in Verteidigerposition, mit dem Rücken zur Wand. Es wird Zeit, sich freizukämpfen, Zeit, sich vom Gegner ab- und den Wählern zuzuwenden. Der 4. Juni war ein Anfang.“

ln

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