Vom 11. bis zum 14. August dauerte am Hafen in Steinort (Sztynort) das diesjährige, siebte Stn:ort-Festival unter dem Motto „Kreise, Zirkel, Bubbles“. Neben vielfältiger Kultur stand am 13. August die erste öffentliche Präsentation des Konzepts für die zukünftige Nutzung von Schloss Steinort in Polen auf dem Programm. Außerdem wurde im Anschluss daran überraschend ein Bundesverdienstkreuz verliehen.
Das Wetter meinte es gut mit Organisatoren und Gästen des Stn:ort-Festivals 2023. Nicht zu warm, meistens trocken und angenehm windig. Der Wind strich vom Steinorter Hafen, bei dem extra für das Festival ein Zelt errichtet worden war, durch die Äste der Bäume. Darunter hat es sich eine große Gruppe Menschen verschiedenen Alters bei einem Grill gemütlich gemacht. Sie eint, dass sie alle jenen Kindergarten besucht haben, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Schloss Steinort befunden hatte, und fast alle einst auf die Bäume am See geklettert sind, als es dort noch keinen Hafen, sondern nur eine Anlegestelle gab.
Fortschritte im Bau …
Der Einladung von Agata Kern vom Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg, die selbst in diesen Kindergarten ging, waren sogar Gäste aus Deutschland und aus Übersee gefolgt. Nicht nur Richard Sok aus Remscheid schmunzelte beim Blick auf das breite Treppengeländer des Schlosses, das die Gruppe unter der Führung von Piotr Wagner von der Deutsch-Polnischen Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz besichtigte. „Wir alle, wie wir hier stehen“ – ein Blick in die Runde – „sind dort heruntergerutscht. Meistens ging es gut aus…“, sagte er vielsagend.
Aufmerksam folgten er und die anderen früheren Kindergartenkinder den Ausführungen Piotr Wagners zu den aktuellen Reparaturen. Die ersten, nach innovativen Methoden reparierten tragenden Balken sind im Erdgeschoss links neben der Eingangshalle wieder eingebaut und sogar schon von der Feuerwehr genehmigt worden. Die Fortschritte im Innern sind enorm, die Gäste kamen beinahe bis an die Tür zu ihrem Kindergartensaal im ersten Stock links. Jolanta Pastuszenka erinnerte sich auch an die anderen Räume: „Vorne zur Seeseite waren auf der einen Seite ein Milizposten und auf der anderen Seite Büros. Dorthin bin ich ab und zu zu meiner Mutter geflüchtet, die dort gearbeitet hat.“
… Fortschritte im Nutzungskonzept
Passend zum regen Erinnerungsaustausch der früheren Steinorter war am Abend des 12. August eine Werkstatt des Zentrums für gesellschaftliche Archivistik angesetzt. Adriana Kapała, Mitarbeiterin dieser Institution, brachte den Teilnehmern das Vorgehen beim Anlegen eines Archivs und die zahlreichen Möglichkeiten dabei an vielen praktischen Beispielen näher. Wie wichtig das ist, zeigte sich am folgenden Tag bei der Präsentation des Nutzungskonzeptes für Schloss Steinort. Andrzej Kowal von der Stiftung „Dziedzictwo nasze“ (unser Erbe) aus Angerburg (Węgorzewo) zeigte in einem kurzen Film Erinnerungen einer Familie, die als Zwangsarbeiter bei der Familie von Lehndorff arbeitete.
Ein Bild aus der Erzählung: 21. Juli 1944; ein Junge kommt mit einer Schüssel frisch gepflückter Himbeeren zum Schloss zurück, als Heinrich von Lehndorff gerade verhaftet wird. Er nimmt sich noch ein paar davon, bevor er ins Auto geschoben wird. Es ist diese Art der Erinnerung, der Geschichte, die in Schloss Steinort räumlich den zentralen Platz einnehmen soll – den Mittelbau. Für die Lehndorff-Galerie, in der jeder Stein eine Geschichte erzählt, ist Gaby Huch von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften verantwortlich: „Natürlich wird es ein Heinrich von Lehndorff-Zimmer geben, aber auch die einfachen Leute und die Geschichte des Orts nach dem Zweiten Weltkrieg werden ihren Platz haben.“
Lokal verankert …
„Mit Blick auf die große Geschichte“ – unter diesem Motto beschreibt das Konzept diesen einen seiner Pfeiler. 34 Experten und Expertinnen aus vielen Disziplinen haben in 40 Sitzungen in sechs Arbeitsgruppen ein halbes Jahr gefeilt, um das Konzept der zukünftigen Nutzung von Schloss Steinort fertigzustellen, mit dem verschiedene Geldgeber überzeugt werden sollen. Dank des Engagements des Marschallamtes von Ermland-Masuren und des Bürgermeisters von Angerburg, Krzysztof Kołaszewski, konnten in diesem Jahr erstmals auch polnische Gelder in Höhe von 1,5 Millionen Złoty gewonnen werden. „Genau das ist wichtig“, so Professor Robert Traba, der für die polnische Seite die Präsentation moderierte. „Es ist ein historischer Ort, aber kein Erinnerungsort. Er braucht eine Zukunft – und dafür muss er lokal verankert und regional eingebunden sein.“
Sein Vorschlag eines aus öffentlichen Geldern geförderten Koordinators für Schloss Steinort und alle mitwirkenden Partner stieß auf offene Ohren, unter anderem bei Joanna Szymańska, die früher einmal die Deutsche Kinowoche in Allenstein (Olsztyn) organisiert hat: „In absehbarer Zeit, sehr bald, müssen die Strukturen gefestigt und die Menschen vor Ort integriert werden.“ Ein Schritt dabei war die Anwesenheit von Marcin Trybus, dem Vertreter der Firma KingCross, die im Ort und im Hafen von Steinort investiert, bei der Vorstellung des Konzepts. „Wir ergänzen uns inhaltlich sehr gut“, fand er und lud für das nächste Jahr in die zwei dann fertiggestellten Häuser neben dem Schloss ein. Aus dem Speicher und dem Fischerhaus werden eine Pension und ein Zentrum für Konferenzen.
… mit Ausstrahlung
Auf die zweite Säule ging Dr. Dieter Bingen, der frühere Direktor des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt, als Moderator von deutscher Seite ein – auf die „akademia masuria“. Sie werde, so Dieter Bingen, „ein Laboratorium für die Zivilgesellschaft werden. In Zeiten grundlegender Änderungen in Europa soll sie ihre Teilnehmer ermuntern, mit vielfältiger Fantasie neue Wege zu gehen.“ Vom Erfolg dieser Idee hängt ab, ob es gelingt, Schloss Steinort aus seiner scheinbaren Peripherie herauszuholen. Wenn sich im nächsten Jahr das Attentat auf Adolf Hitler zum 80. Mal jährt, könnte in Kooperation mit dem Museum auf dem Gelände der früheren sogenannten Wolfsschanze ein erstes Projekt Aufmerksamkeit erregen.
Auffallend zurückhaltend waren bei der Präsentation des Konzepts von Schloss Steinort zwei wesentliche Akteurinnen der letzten Jahre: Dr. Bettina Bouresh von der Lehndorff-Gesellschaft und die Generalkonsulin der Bundesrepublik Deutschland in Danzig (Gdańsk), Cornelia Pieper. Diese hatte dafür zum Schluss viel zu sagen und die große Ehre, ein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verliehenes Bundesverdienstkreuz am Bande zu überreichen. Die überraschte Geehrte ist Maria Grygo, die bei der Masurischen Gesellschaft, dem Verein „Freunde Masurens“ und dem Verein „Blusztyn“ aktiv ist. Ihr Einsatz gilt zum einen ihrem Beruf als Lehrerin und der Vermittlung des Wissens um die Region in den Vereinen, zum anderen dem Erhalt und der Renovierung alter evangelischer Friedhöfe und Kirchen sowie schon etliche Jahre der Dokumentation dieser Gotteshäuser. Eine würdige Preisträgerin, die sich im Team ihrer Familie mit Ehemann Krzysztof und Sohn Hubert am wohlsten fühlt und am liebsten engagiert.
Uwe Hahnkamp