Mit einem Gottesdienst, einer Debatte und einem Konzert feierte heute (2. Oktober) der Verband deutscher Gesellschaften in Polen sein 30jähriges Bestehen. Zugleich wurde auch an den 30. Jahrestag der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages erinnert, der die Existenz einer deutschen Minderheit in Polen zum ersten Mal offiziell anerkannt hat.
In der Kösliner Philharmonie versammelten sich Vertreter der Organisationen der deutschen Minderheit aus dem gesamten Norden Polens. Das 30jährige Bestehen sollte, so die Organisatoren nicht nur in Schlesien gefeiert werden, sondern eben auch da, wo die Volksgruppe in einer größeren Diaspora lebt.
Das abendliche Konzert, dass vom Jugendblasorchester aus Leschnitz und dem Orchester Kaprys sowie Solisten gestaltet wurde, wurde aber auch genutzt, um an die Geschichte der deutschen Minderheit in Polen zu erinnern.
Deutsche in der Volksrepublik
In seiner Ansprache erinnerte der Vorsitzende des VdG Bernard Gaida, dass in diesem Jahr nicht 30 Jahre der Minderheit, sondern ihrer legalen Existenz gefeiert werde.
„Man muss bedenken, wir sind keine polnischen Staatsbürger mit Migrationshintergrund. Nicht wir haben die Grenze überschritten, sie wurde über unsere Köpfe hinweg neu bestimmt. Der von Deutschland angezettelte schreckliche Krieg, der von der Sowjetunion unterstützt wurde sowie dessen Konsequenzen führten dazu, dass wir zwar unsere Heimat nicht verlassen haben, uns aber in einem anderen Staat wiederfanden. Hier wurden wir aber nur akzeptiert, wenn man uns für assimilierungsfähig angesehen hat“,
sagte Gaida und betonte, dass deswegen die deutsche Sprache als Kulturträger aus dem Leben der Menschen verbannt werden sollte, um sie so besser polonisieren zu können.
Erst das Ende des Sozialismus in Polen läutete eine Wende ein und spätestens seit der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages konnte die deutsche Minderheit und ihr Dachverband, also der VdG, ihre Arbeit voll aufnehmen. „Der Verband hat sich in der Satzung definiert als Repräsentant der gesamte Volksgruppe und Ansprechpartner für die deutschen und polnischen Institutionen Regierungen. Dank dem Vertrag von vor 30 Jahren hat die deutsche Minderheit auch eine Möglichkeit bekommen von beiden Staaten unterstützt zu werden“, sagte Bernard Gaida.
Augenmerk Europa
In ihrer Tätigkeit konzentriert sich die deutsche Minderheit auf die Wiederbelebung der deutschen Sprache und Kultur, sie ist durch ihre unterschiedlichen Organisationen, die den VdG bilden oder ihm als assoziierte Mitglieder angehören, in der Jugend- und caritativen Arbeit tätig. „Ich glaube jedoch, dass unser größter Erfolg der letzten 30 Jahren vor allem unser Einsatz in der Gründung einer Bürgergesellschaft durch hunderte von Konferenzen, Projekte, Schul-, Gemeinde- oder Gesellschaftspartnerschaften ist; aber auch durch diese, deren Ziel die Verbesserung des gegenseitigen Betrachtens von Deutschen und Polen ist. Es bereitet uns jedoch Sorge, dass es immer mehr Versuche gibt diese Errungenschaften zu schädigen. Wir Deutschen handeln in allen Regionen zugunsten der multikulturellen Zusammenarbeit mit anderen nationalen Minderheiten und der Mehrheit“, sagte Gaida.
Die Zukunft liege dabei in der europäischen Union und ihrem Leitgedanken „Einheit in Vielfalt”. „Überall in Europa sind nationale Minderheiten in ihren Ländern ein Beweis dafür, dass man in einer sich gegenseitig bereichernden Gemeinschaft leben kann. Aber wenn wir die Wertschätzung für kulturelle Vielfalt verdrängen, verlieren nicht nur die Minderheiten dieses Europa, es verlieren Polen und Deutschland, wir alle verlieren. Deswegen: Wir, Deutsche aus Pommern, Schlesien, Ermland, Masuren bleiben in Europa“, schloss Bernard Gaida seine Ansprache.
Unter den Gratulanten des Jubiläums waren u.a. Vertreter der ukrainischen Minderheit und der Kaschuben sowie die Stadtpräsident von Köslin Piotr Jedliński. Den Marschall der Woiwodschaft Westpommern repräsentierte sein Stellvertreter Stanisław Wziątek, der in seiner Rede zunächst der deutschen Minderheit dankte:
„Ich möchte Ihnen vor allem danken, dass sie in den letzten Jahren ihre eigene Einheit gebaut, ihre Sprache und Kultur gebaut und damit Polen bereichert haben. Ich möchte Ihnen aber auch dafür danken, dass Sie uns Polen darin unterstützt haben mit den Deutschen und anderen Nationen das gemeinsame europäische Haus aufzubauen. Ein offenes, freundliches und tolerantes Haus, in dem jeder Achtung verdient“,
sagte Vizemarschall Wziątek und betonte seine persönliche Bereitschaft die deutsche Minderheit in der Region weiterhin zu unterstützen.
Ehrungen
Das Jubiläumskonzert wurde auch genutzt, um 15 Mitglieder der Organisationen der deutschen Minderheit mit der VdG-Nadel und einer Medaille zum 30jährigen Bestehen zu ehren. Unter ihnen ist auch Lilia Przepiórka aus Schievelbein.
„Es war für mich eine Überraschung, aber ich nehme die Auszeichnung gerne an, weil das zeigt, dass unsere Arbeit in Schievelbein gesehen wird. Dabei wollte ich eigentlich schon vor einiger Zeit aufgeben und unsere Gesellschaft „auf Eis legen“, die anderen haben mich aber dazu ermuntert weiterzumachen und so sind wir aktiv, auch wenn uns die Coronapandemie natürlich ein wenig ausgebremst hat“,
sagt die dortige Vorsitzende der deutschen Minderheit.
Auch Andreas Gehrke, der Chef der Graudenzer deutschen Minderheit wurde für seine Arbeit geehrte. „Ich freue mich sehr über die Auszeichnung, denn es ist die erste überhaupt, die ich für meine Arbeit erhalten habe und ich bin schon seit 30 Jahren für die deutsche Minderheit in Graudenz engagiert. Die Ehrennadel freut mich sehr und spornt mich zur weiteren Arbeit an“, sagt Andreas Gehrke.
Dem Konzert in der Kösliner Philharmonie ging eine evangelische deutschsprachige Andacht voraus, sowie eine Debatte zu 30 Jahren des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages. Dabei diskutierten die Sejmabgeordneten Ryszard Galla und Piotr Zientarski, sowie Silvio Witt, Oberbürgermeister der Partnerstadt Köslins Neubrandenburg und der VdG-Vorsitzende Bernard Gaida. Dabei ging es sowohl um die deutsch-polnischen Erfahrungen in der kommunalen Zusammenarbeit als auch um die Minderheitenrechte.
Rudolf Urban
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