Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Von Zentralasien nach Oberschlesien

Zwei Wochen lang hospitierte Alina Franz vom Volksrat der Deutschen der Kirgisischen Republik (VDKR) beim Bund der Jugend der Deutschen Minderheit (BJDM) in Oppeln. Im Interview mit Lucas Netter spricht sie über die Eindrücke, die sie in Oberschlesien gewonnen hat – und darüber, was die deutsche Minderheit in Kirgisistan von jener in Polen unterscheidet.


Frau Franz, was hat Sie von Kirgisistan nach Oberschlesien verschlagen?

In diesem Jahr war ich eine der Glücklichen, die vom ifa (Institut für Auslandsbeziehungen, Anm. d. Red.) ein Stipendium für das Hospitationsprogramm erhalten haben. Dieses ermöglicht einen mehrwöchigen Gastaufenthalt bei einer Institution der deutschen Minderheit und einen Einblick in deren Arbeitsweise. Die Inhalte des Programms haben mich sofort angesprochen, denn ich kenne zwar die deutschen Minderheiten in Zentralasien recht gut, über die Situation in Europa wusste ich bislang aber nur wenig.

Die Koordinatorin des ifa-Hospitationsprogramms, Julia Herzog, hat mir dann geholfen, eine passende Gastorganisation zu finden – und schließlich den BJDM empfohlen, da ich mehr über die Jugendarbeit erfahren wollte. Nach einer mehrtägigen Fortbildung zum Projektmanagement, die Ende Oktober in Stuttgart stattfand und bei der auch die anderen Teilnehmer der ifa-Stipendienprogramme versammelt waren, kam ich dann nach Oppeln und habe beim BJDM meine zweiwöchige Hospitation angetreten.

Alina Franz beim BJDM in Oppeln
Foto: privat

Wie sah Ihr Hospitationsalltag beim BJDM aus?

Generell habe ich mir von meiner Zeit in Oppeln einige Anregungen erhofft, wie man Jugendliche dazu motivieren kann, in den Strukturen der deutschen Minderheit aktiv zu werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BJDM haben mir in diesem Sinne einen Einblick in ihre interessanten Aktivitäten gegeben und mir erklärt, welche Projekte und Initiativen es bei ihnen gibt – und wie sie diese umsetzen. Darüber hinaus habe ich einen Escape-Room organsiert und auch selbst daran teilgenommen. An meinem letzten Arbeitstag konnte ich zudem eine Veranstaltung zum Martinstag besuchen. Das war etwas ganz Neues für mich.

Ich bin dem BJDM sehr dankbar für die Zeit in Oppeln. Ich wurde hier sehr freundlich aufgenommen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich viel Zeit genommen, mir alles zu zeigen – und sie haben mir neue Impulse mit auf den Weg gegeben. Ich habe schon eine Strategie ausgearbeitet, welche Projekte wir – in abgewandelter Form – auch beim VDKR realisieren können. Mir gefällt zum Beispiel die BJDM-Jugendgala, bei der die Ergebnisse und Erfolge des ablaufenden Jahres präsentiert werden. Bisher gibt es so etwas bei uns nicht, aber ich werde dies dem VDKR nun vorschlagen. So können wir unsere Arbeit und Produkte nach außen sichtbarer machen.

Alina Franz mit Anna Walecko (rechts) und Anna Franik (links) vom BJDM
Foto: BJDM

Welche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede haben Sie zwischen der deutschen Minderheit in Kirgisistan und jener in Polen festgestellt?

Wir arbeiten beide für denselben Zweck: die Pflege und Popularisierung der deutschen Sprache und Kultur. Ich habe festgestellt, dass sich auch unsere Jugendprojekte grundsätzlich ähneln. Aber natürlich gibt es verschiedene Methoden und Wege, wie man dieses oder jenes umsetzen und erreichen kann. Insofern habe ich in den vergangenen 14 Tagen zahlreiche Inspirationen bekommen, die ich mit nach Hause nehmen und meinen Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Abteilungen vorstellen kann.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen unseren deutschen Minderheiten sind definitiv die Sprachkenntnisse: Ich finde, die Jugendlichen aus den Reihen der deutschen Minderheit in Polen sprechen sehr gut Deutsch; viele von ihnen benutzen die deutsche Sprache auch zu Hause, in der Familie. Auch an den Schulen in Polen gibt es ein vergleichsweise breites Angebot an Deutschunterricht. Das ist bei uns anders: In Kirgisistan gibt es nur wenige Schulen, die Deutschunterricht anbieten. Unsere Jugendlichen lernen Deutsch deshalb entweder an der Universität oder in den Sprachzirkeln und Sprachkursen, die vom VDKR angeboten werden.

Alina Franz war zwei Wochen zu Gast beim BJDM.
Foto: privat

Wie ist die deutsche Minderheit in Kirgisistan aufgestellt? Wie groß ist sie? Und was sind die aktuellen Herausforderungen?

Die deutsche Minderheit in Kirgisistan ist vergleichsweise klein: Sie hat nur etwa 8.000 Angehörige, die sich über das ganze Land verteilen. Der Sitz des VDKR befindet sich in der Hauptstadt Bischkek; in den Regionen haben wir verschiedene Begegnungszentren. Dort sind unsere Mitarbeiter in der Jugend-, Kultur-, Sprach- und Sozialarbeit tätig und kümmern sich um die Deutschstämmigen.

Eine große Herausforderung ist es – wie bei anderen deutschen Minderheiten oder in der Gesellschaft im Allgemeinen auch –, die Jugend zu aktivieren, sie für ein Engagement in unseren Strukturen zu begeistern. Heutzutage sind die Jugendlichen oft nicht mehr so aktiv, sie wollen in Vereinen keine Verantwortung mehr übernehmen. Das ist sehr problematisch, denn wir brauchen diese Brücke zwischen den Generationen. Wir möchten, dass Jung und Alt miteinander sprechen, sich austauschen. Doch das ist nicht so einfach – und bereitet uns oft Kopfschmerzen.

Während meiner Hospitation in Oppeln habe ich bemerkt, dass die Situation in Polen in dieser Frage vergleichbar mit jener in Kirgisistan ist. Vorher dachte ich, dass die Jugendlichen in Europa aktiver seien und sich stärker ehrenamtlich engagieren, aber dem ist nicht so. Wir stehen also vor ähnlichen Herausforderungen.

Natürlich besuchte Alina Franz auch den VdG und die Redaktion des „Wochenblatt.pl“.
Foto: Privat

Welche Tätigkeit üben Sie beim VDKR aus?

Ich bin Koordinatorin für den Bereich der sozialen Arbeit und kümmere mich um die humanitäre Hilfe für die Erlebnisgeneration. Dies sind ethnische Deutsche, die während des Zweiten Weltkrieges nach Sibirien und Zentralasien deportiert wurden und diese schreckliche Zeit überlebt haben. Diesen bedürftigen Menschen helfen wir. Es gibt etwa 520 Begünstigte aus der Erlebnisgeneration, die unsere Unterstützung benötigen.

Alina Franz (links) bei der Sankt-Martins-Feier in Oppeln
Foto: privat

Wie sieht diese Hilfe aus?

Es gibt verschiedene Maßnahmen, die sich in soziale und medizinische Unterstützungsaktionen unterteilen lassen. Im sozialen Bereich verteilen wir zum Beispiel einmal im Jahr Lebensmittelpakete für Bedürftige. Im Rahmen des Projekts „Sozialfriseur“ stellen wir kostenlose Friseurdienstleitungen zur Verfügung.

Im medizinischen Bereich leisten wir finanzielle Unterstützung für anstehende Operationen. Darüber hinaus erstatten wir Gelder für gekaufte Medikamente, bezahlen verschiedene ärztliche Untersuchungen und verteilen medizinische Produkte für die Begünstigten. Außerdem führen wir regelmäßig Schulungen zur Gesundheitsvorsorge durch.

Im Rahmen des ifa-Hospitationsprogramms haben Sie nun zwei Wochen in Oppeln verbracht. Wie bewerten Sie die Bedeutung solcher internationalen Austauschprogramme zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen den deutschen Minderheiten?

Ich finde so etwas außerordentlich wichtig. Denn man sollte nicht nur über die Situation im eigenen Land Bescheid wissen, sondern auch über den Tellerrand hinausschauen und kennenlernen, wie die Dinge woanders funktionieren. Dank der neuen Kenntnisse, die man während des Austauschs gewinnt, kann man zu Hause neue Projekte initiieren und seine eigene Arbeit optimieren.

Im Übrigen stellen auch wir vom VDKR immer gern unsere Tätigkeiten vor. Ich bin sicher, dass auch andere deutsche Minderheiten noch etwas von uns lernen können. Deshalb: Kommen Sie uns besuchen, Sie sind jederzeit herzlich willkommen!

Frau Franz, vielen Dank für dieses Gespräch.


Das ifa-Hospitationsprogramm

Das Hospitationsprogramm des ifa ermöglicht Mitarbeitern und Engagierten von Organisationen der deutschen Minderheiten einen bis zu vierwöchigen Aufenthalt bei einer Gastinstitution. Dabei erhalten sie neue Impulse und Anregungen für ihre Arbeit und werden fachlich weitergebildet. Die Teilnehmer lassen sich von der Arbeit der anderen Organisation inspirieren und lernen themenspezifische Best-Practice-Modelle und Arbeitsweisen kennen. Die internationale Netzwerkarbeit des Förderprogramms bietet den Vereinen, Verbänden und Redaktionen der deutschen Minderheiten zudem die Gelegenheit, sich länderübergreifend miteinander zu vernetzen. Weitere Informationen zu diesem Programm finden Sie unter „www.ifa.de/foerderungen/hospitationsprogramm“.

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