102 Jahre alt war der älteste Teilnehmer des Sommerfestes der deutschen Minderheit in Ermland und Masuren. Es war Hubert Brosda, früher aus Osterode (Ostróda) und jetzt aus Berlin.
Das Fest der deutschen Minderheit fand am 24. Juni in Wuttrienen (Butryny) statt. Dies ist ein neuer Veranstaltungsort – ein Vergnügungspark mit zahlreichen Attraktionen. Frühere Feste fanden in den Amphitheatern von Osterode, Allenstein (Olsztyn), Sensburg (Mrągowo), Lötzen (Giżycko), Heilsberg (Lidzbark Warmiński) oder im Freilichtmuseum in Hohenstein (Olsztynek) statt. Der Wechsel des Veranstaltungsortes und der Veranstaltungsform wurde von der Landsmannschaft Ostpreußen in Deutschland beschlossen, die zusammen mit dem Verband der deutschen Gesellschaften in Ermland und Masuren (VdGEM) diese Veranstaltungen organisiert. Frühere Feste waren eher Reviews von künstlerischen Leistungen der deutschen Minderheit aus der Region oder Auftritte von eingeladenen Gästen. Jetzt gab es weniger Darbietungen, dafür mehr Zeit für Begegnungen und Gespräche.
Nach Schätzungen der Organisatoren nahmen rund 1.000 Personen an der Veranstaltung teil, davon etwa 700 in organisierten Gruppen. Wie üblich reisten die Ehemaligen aus Mecklenburg-Vorpommern unter der Leitung der unermüdlichen Manfred Schukat und Wilhelm Schülke an, die bereits 31 solcher Besuche hinter sich haben, die Ehemaligen aber nicht nur mitbrachten, sondern während der Reise auch einen Auftritt mit ihnen auf der Bühne vorbereiteten. Mit ihnen kam auch Hubert Brosda aus Berlin in einem der Busse an.
Warum ist er gekommen? „Weil ich meine Heimat und mein Elternhaus sehen wollte. Das ist ein tolles Erlebnis für mich“, versichert der 102-Jährige, um den sich seine beiden Töchter Karin und Ute kümmern. „Mein Vater ist immer aktiv gewesen. Es ist für uns nicht verwunderlich, dass er eine solche Reise machen wollte“, erzählt Karin.
An dem Treffen nahmen neben Vertretern der deutschen Minderheit aus der gesamten Woiwodschaft Ermland-Masuren auch Deutsche aus Graudenz (Grudziądz) teil. Es gab eine Delegation aus Ostercappeln, der Partnerstadt von Hohenstein, und viele einzelne Gäste aus Deutschland, darunter zum Beispiel Eckhard Jagalla aus Gütersloh, ein ehemaliger Bewohner von Hochwalde (Ługwałd) und Vorsitzender der Ortsgruppe der Kreisgemeinschaft Allenstein, von denen viele in dieser Gegend leben. „Ich bin ziemlich oft in der alten Heimat, aber es ist das erste Mal, dass ich das Fest besucht habe. Ich wollte sehen, wie es organisiert ist und jemanden treffen, den ich kenne – und beides habe ich erreicht“, erklärt er. Er bewertete das Fest als interessant, gut organisiert und in einer guten Lage.
Das ist eine wichtige Einschätzung, denn die von ihm geleitete Gruppe ehemaliger Bewohner organisiert im Laufe des Jahres nicht weniger als zwölf Veranstaltungen, darunter einen Weihnachtsmarkt, den Vatertag, Fahrradausflüge und die zehn bis zwölf Prozent der Gemeinde einfinden.
Ein weiterer Gast bei den Feierlichkeiten war Urszula Ignasiewicz (geb. Kuhn) aus Gradtken (Gradki) bei Allenstein. „Ich bin gekommen, um Freunde zu treffen, neue Leute kennenzulernen, mich auf Deutsch zu unterhalten und zu singen, denn dazu habe ich kaum Gelegenheit. Eine sehr angenehme Veranstaltung“, sagt sie abschließend.
Bärbel Wiesensee, die Vorsitzende der ehemaligen Bewohner des Kreises Lyck (Ełk) in Deutschland, sagt dasselbe. „Es ist ein angenehmer Ort. Die Veranstaltung ist gut organisiert. Ich habe hier einige Freunde getroffen, darunter auch andere Gemeinschaftsvorsitzende aus Deutschland. Wir hatten endlich Zeit, uns frei zu unterhalten“, berichtet sie.
Unter anderem war auch Jacek Piorunek, Mitglied des Sejmik der Woiwodschaft Podlachien und dessen ehemaliger Vorsitzender, auf dem Fest: „Es hat mit der vergessenen Geschichte Ostpreußens zu tun. Vor 150 Jahren, als es den Menschen in Ostpreußen schlecht ging, baten 30.000 Ostpreußen den russischen Zaren um die Erlaubnis, sich jenseits der Grenze, in Russland, niederzulassen. Unter ihnen war auch mein Urgroßvater aus Farienen (Faryny) bei Friedrichshof (Rozogi) im Kreis Ortelsburg (Szczytno). Ich fühle mich zu meinen Wurzeln hingezogen“, erklärt er.
An dem Fest nahmen viele prominente Gäste teil. Eröffnet wurde es von Stephan Grigat, dem Vorsitzenden der Landsmannschaft Ostpreußen in Deutschland. Mit dabei waren aber auch Zbigniew Homza, der stellvertretende Vorsitzende des Sejmik von Ermland-Masuren, Jarosław Słoma, der Vorsitzende des Sejmik-Ausschusses für nationale und ethnische Minderheiten, Wiktor Marek Leyk, der Minderheitenbeauftragte des Marschalls der Woiwodschaft Ermland-Masuren, Michał Schlueter, der stellvertretende Vorsitzende des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG), und Henryk Hoch, der Vorsitzende des Verbandes der deutschen Gesellschaften in Ermland und Masuren.
In ihren Reden sprachen die meisten von ihnen das Problem der Diskriminierung der deutschen Minderheit beim Unterricht von Deutsch als Minderheitensprache in den Schulen an. Sie nahmen auch Bezug auf den Krieg in der Ukraine und riefen zu Besonnenheit, friedenssichernden Maßnahmen und guter deutsch-polnischer Zusammenarbeit auf.
Und wen konnten wir außer den Offiziellen noch auf der Bühne sehen? Zunächst das Blasorchester BTS aus Scheufelsdorf (Tylkowo). Dann den Chor aus Neidenburg (Nidzica) mit unter anderem dem Lied „Ännchen von Tharau“, den Chor aus Heilsberg, der das Publikum zum Tanzen brachte, und die vereinten künstlerischen Kräfte aus Mecklenburg-Vorpommern, die unter anderem ein dem Vorsitzenden Hoch gewidmetes Lied „Hoch auf dem gelben Wagen“ sangen. „Es ist ein Lied, das einst von unserem Bundespräsidenten Walter Scheel öffentlich gesungen wurde“, meint Waldemar Freitag aus Browienen (Browina), jetzt aus Lübbecke bei Bielefeld, der es sofort erkannt hatte.
Heimatmelodien gab „Bernstein“ zum Besten. „Saga“ – ein Tanzensemble aus Bartenstein (Bartoszyce) – begeisterte mit zwei Darbietungen: eine mit ostpreußischen Tänzen und die andere mit modernen Tänzen. Es sang auch die junge Ela Balakina – eine 18-jährige Ukrainerin, die in Polen lebt, Schülerin von Damian Wierzchowski, einem Deutschlehrer und Vertreter der Kreisgemeinschaft Allenstein in Ostpreußen. Sie trug Lieder aus dem Repertoire von Helene Fischer und Marie Bothmer sowie lyrische Balladen auf Ukrainisch vor. Sie erhielt viel Beifall, denn ihre Darbietungen gingen zu Herzen.
Ein guter Ort – ein Vergnügungspark, eine gute Organisation der Veranstaltung, gutes Wetter, eine andere Formel – all das spricht für den Standort des Festes in Wuttrienen. Doch es gibt ein Aber: Kein Vertreter der polnischen Medien war bei der Veranstaltung anwesend. Es gab auch keine Schaulustigen, die sich von der Musik in den Amphitheatern der Stadt stets anlocken ließen. Nur die Teilnehmer wussten, dass eine deutsche Veranstaltung für 1.000 Personen stattgefunden hatte. Das ist wohl doch zu wenig, damit die Polen uns und unsere Probleme wahrnehmen.
Lech Kryszałowicz