Am Dienstag vergangener Woche (30.01.) veranstaltete die Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland eine Onlinediskussion zum Thema „Die deutsche Minderheit in Polen nach dem Regierungswechsel“. Während des Austauschs zwischen den hochrangigen Panelisten fielen des Öfteren die Begriffe „Hoffnung“, „Chance“ und „Dialog“ – aber auch psychosoziale Aspekte wurden thematisiert.
Als Diskussionsteilnehmer zugeschaltet waren Natalie Pawlik MdB, Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Dr. Magdalena Lemańczyk, Soziologin am Institut für Politische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Rafał Bartek, Vorsitzender des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG), und Knut Abraham MdB, Mitglied im Stiftungsvorstand der Stiftung Verbundenheit sowie ehemaliger Diplomat und Gesandter an der Deutschen Botschaft in Warschau.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Hartmut Koschyk, dem Vorsitzenden des Stiftungsrats der Stiftung Verbundenheit. In einem kurzen Eingangsstatement betonte er, dass die deutsche Minderheit „harte Zeiten“ hinter sich habe, weil sie „zum Prellbock antieuropäischer und antideutscher Politik der abgewählten PiS-Regierung gemacht wurde“. Die Frage, wie sich die Lebenssituation der deutschen Minderheit in Polen nach dem Regierungswechsel entwickelt, stand dementsprechend im Zentrum des anschließenden Austauschs mit den vier eingeladenen Panelisten.
Von Hoffnungen …
Den ersten Diskussionsbeitrag lieferte Rafał Bartek: „Wir verbinden mit dem Regierungswechsel in Warschau große Hoffnungen – und teilweise wurden diese Hoffnungen auch schon bestätigt“, erklärte er mit Blick auf die angekündigte Wiedereinführung der wöchentlichen drei Unterrichtsstunden von Deutsch als Minderheitensprache ab dem 1. September 2024. Der VdG-Vorsitzende machte aber auch darauf aufmerksam, dass es weitere Probleme mit dem minderheitensprachlichen Deutschunterricht gebe, beispielsweise einen Mangel an Lehrkräften. „Wir erhoffen uns diesbezüglich einen konstruktiven Dialog mit der neuen Regierung“, unterstrich er.
Wichtig sei es deshalb, mit ebenjener Regierung frühzeitig Kontakte zu knüpfen – das jetzige „Fenster der Möglichkeiten“ müsse genutzt werden. Auf der politischen Agenda gegenüber der neuen polnischen Regierung stehe in erster Linie die Erarbeitung gemeinsamer Strategien, denn vor allem in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Erinnerungskultur gebe es weiterhin große Herausforderungen.
Im Hinblick auf die anstehenden Kommunalwahlen am 7. April erklärte Bartek, dass sich die deutsche Minderheit breiter aufstellen und mit dem Schlesischen Selbstverwaltungsverein kooperieren werde. Das Ziel dieser Entscheidung sei, sich für die polnische Mehrheitsgesellschaft zu öffnen, die regionale Verankerung und die Multikulturalität stärker in den Mittelpunkt zu stellen sowie auch junge Menschen für sich zu gewinnen. „Wir erhoffen uns, dass wir dadurch erfolgreicher sein werden, sodass wir nach wie vor sowohl auf der Gemeinde- als auch auf der Kreis- und auf der Regionalparlamentsebene unsere Vertreter stellen können“, so Bartek.
… und Chancen
Natalie Pawlik äußerte sich ähnlich wie Bartek und sagte, dass man mit dem Regierungswechsel in Polen eine große Chance verbinde. „Nach den letzten Jahren, in denen die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen gelitten haben, habe ich große Hoffnungen, dass wir wieder enger zusammenkommen“, zeigte sie sich optimistisch. Sie hoffe, dass man mit der proeuropäischen polnischen Regierung die bilaterale Partnerschaft wieder neu zum Leben erwecken könne. Eine entscheidende Rolle komme hier nicht zuletzt der deutschen Minderheit zu, „die schon immer eine Brückenfunktion zwischen den beiden Ländern innehatte“.
Der Umgang mit der deutschen Minderheit unter der Vorgängerregierung sei „schrecklich“ gewesen; die Minderheit sei instrumentalisiert worden für politische Interessen, für die Verbreitung antideutscher Narrative. Bedauerlich sei es, dass es nunmehr keinen Abgeordneten der deutschen Minderheit mehr im Sejm gebe. Sie setze aber darauf, dass es in der aktuellen Regierung eine adäquate Ansprechperson für die deutsche Minderheit geben werde. „Am Ende messen sich Demokratien und Staaten auch daran, wie sie mit den Minderheiten im eigenen Land umgehen. Von daher hoffe ich, dass wir mit der neuen Regierung auch minderheitenpolitisch enger zusammenwachen und für Verbesserungen auf beiden Seiten sorgen“, bekräftigte Pawlik.
Aus der Sicht der Soziologin
Magdalena Lemańczyk, die aus Danzig (Gdańsk) zugeschaltet war, brachte die soziologische Perspektive in die Diskussion ein und betonte, dass sich die antideutsche Rhetorik der PiS-Regierung „in vielerlei Hinsicht stark auf die deutsche Minderheit ausgewirkt“ habe. „Die Polarisierung und gleichzeitig Emotionalisierung der öffentlichen Haltungen gegenüber dieser Gruppe, aber auch gegenüber Deutschland und den Deutschen, ist eine dieser negativen Auswirkungen. Nach dem Machtwechsel in Polen hat sich dieser polarisierte und emotionalisierte Ton keineswegs abgeschwächt. Jedoch hat sich die politische Atmosphäre verbessert“, konstatierte die Wissenschaftlerin.
Ihre Forschungen hätten ergeben, dass die Diskriminierung, die die Angehörigen der deutschen Minderheit erfahren hätten, alte Wunden geöffnet und viele individuelle sowie gruppenbezogene Traumata verschärft habe. In psychosozialer Hinsicht zeigten sich hier starke Emotionen, wie zum Beispiel Wut, Frustration oder Gefühle des Nicht-Angenommenseins, die mit Sorgen um die Zukunft der deutschen Kultur und Sprache verbunden seien, so Dr. Lemańczyk.
Sie fügte hinzu, dass die Wahrnehmung der Rolle deutscher Politiker in diesem Kontext nuanciert sei: „Einige Befragte schätzen die Unterstützung aus Deutschland, während andere der Meinung sind, dass die Maßnahmen unzureichend, zurückhaltend oder öffentlich zu wenig sichtbar sind.“
Aus der Sicht des Polenexperten
Der ausgewiesene Polenkenner Knut Abraham nutzte ebenfalls mehrfach den Begriff „Hoffnung“, als er seine Gedanken zur Gegenwart und Zukunft der deutsch-polnischen Beziehungen äußerte. Ein positives Signal in Richtung Annäherung sei der kürzliche Antrittsbesuch des polnischen Außenministers Radosław Sikorski in Berlin gewesen. Auch die Rückkehr der drei Schulstunden von Deutsch als Minderheitensprache bezeichnete der CDU-Mann als „politisch unglaublich wichtig, weil die neue Regierung hier gezeigt hat, dass sie Wort hält – trotz schwieriger Umstände“. Das sei etwas „ganz Entscheidendes“, denn daraus entstehe das, „was so verlorengegangen ist, nämlich Vertrauen.“ Auf diesem Schritt könne man aufbauen.
Abraham ließ nicht unerwähnt, dass man auch die polnischen Erwartungen an den Neubeginn der bilateralen Beziehungen im Blick haben müsse. „Da müssen wir mit Fingerspitzengefühl vorgehen“, sagte er. Allerdings dürfe man die Zeit auch „nicht verschlafen“, denn bis zu den Kommunal- und Europawahlen sei es nicht mehr weit. Besonders wichtig sei es, zeitnah und intensiv erfolgreiche deutsch-polnische Regierungskonsultationen vorzubereiten.
Der erfahrene Außenpolitiker gab zudem zu erkennen, dass er mit Sorge auf die junge Generation in Deutschland blicke, die heute keine Kenntnis mehr von der Existenz deutscher Volksgruppen im Ausland habe. Auch die Geschichte des Raumes Ostmitteleuropa sei ihnen gänzlich unbekannt. Hier müsse man gegensteuern.
Zum Ende seiner Ausführungen äußerte Abraham noch einen Appell. Er sagte: „Wir müssen in den Beziehungen zu Polen, wenn wir das bilaterale Verhältnis sehen, die deutsche Minderheit immer mitdenken!“
Lucas Netter
Die ganze Diskussion können Sie sich online auf dem YouTube-Kanal der Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland ansehen.