Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Den Dialog wieder sexy machen

Im Rahmen des 28. Schlesienseminars (siehe Seite 5) fand am Mittwoch vergangener Woche (25.10.) im Plenarsaal „Orła Białego“ des Marschallamts der Woiwodschaft Oppeln eine Podiumsdiskussion mit dem früheren Deutschen Botschafter in Polen, Rolf Nikel, und dem früheren Polnischen Botschafter in Deutschland, Dr. Andrzej Byrt, statt. In dem Gespräch, das von der Journalistin Dr. Katarzyna Kownacka moderiert wurde, ging es im Kern um die Lage und die Perspektiven der deutsch-polnischen Beziehungen.

„Mitten im Oktober, in einem eher dunklen Monat, haben wir in Warschau beziehungsweise in ganz Polen einen europäischen Frühling erlebt. Ich kann nur sagen: Polen hat einmal mehr ganz Europa gezeigt, wie man eine nationalkonservative und in Teilen rechtspopulistische Regierung auch tatsächlich wieder loswerden kann“, kommentierte Rolf Nikel zu Beginn der Abendveranstaltung seine Sicht auf das Ergebnis der kürzlichen Parlamentswahl. Der Wahlausgang sei nicht nur für Polen wichtig, sondern für ganz Europa – „und natürlich auch für die deutsch-polnischen Beziehungen“, so Nikel weiter.

Anlass für die Podiumsdiskussion, die vom Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit (HDPZ) in Kooperation mit dem Warschauer Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) organisiert wurde, war aber weniger eine Bilanz der diesjährigen Sejm- und Senatswahl, sondern vielmehr die Veröffentlichung der polnischen Übersetzung von Nikels Sachbuch „Feinde Fremde Freunde – Polen und die Deutschen“ (2023). In diesem Sinne ging der ehemalige Topdiplomat, der auf eine über 40-jährige Karriere im Auswärtigen Amt zurückblicken kann, im Anschluss an seine Vorbemerkung auf ein zentrales Thema seines Buches ein: die Fehler der deutschen Ostpolitik in den vergangenen Jahrzehnten.

Das „Window of Opportunity“ nutzen

Demnach hätten sich die deutschen Bundesregierungen bei der Gestaltung ihrer Ostpolitik in der Vergangenheit von zahlreichen Mythen leiten lassen, zum Beispiel von der Vorstellung, dass man Öl und Gas nur von Russland beziehen könne. Die „im Nachhinein nicht mehr nachzuvollziehende“ Energieabhängigkeit von Moskau, in die sich Berlin begeben habe, sei „schlicht und ergreifend ein Riesenfehler“ gewesen, sagte Nikel, der von 2014 bis 2020 als Deutscher Botschafter in Warschau fungierte.

Auch die Vorstellung, mit einer für beide Seiten vorteilhaften wirtschaftlichen Entwicklung positiv auf die innere, zunehmend autoritäre Entwicklung in Russland einwirken zu können (Stichworte: Modernisierungspartnerschaft und „Wandel durch Handel“), sei irrig gewesen. „Polen hat uns immer wieder auf diese Fehler hingewiesen, aber wir wollten es nicht hören – und müssen jetzt die Konsequenzen tragen“, betonte der Diplomat a. D. Diese Konsequenzen seien „ein fundamentaler Vertrauensverlust in die deutsche Außenpolitik und ein fundamentaler Glaubwürdigkeitsverlust unserer Sicherheitspolitik“. Mit dieser schweren Hypothek müsse Deutschland nun umgehen.

Allerdings sehe Berlin die Dinge im Kontext der sogenannten Zeitenwende nun klarer. Man habe erkannt, dass die Politik der Vergangenheit so nicht weitergeführt werden könne. „Wir sind aus einem Traum erwacht“, konstatierte Nikel.

Dadurch, dass sich Deutschland im Rahmen der Zeitenwende-Politik auf Polen zubewegt habe, gebe es nun ein „Window of Opportunity“, ein „Fenster der Gelegenheit“ für „eine gemeinsame Definition unserer Ostpolitik auf Augenhöhe. Vielleicht gab es nie einen besseren Moment als jetzt“, so Nikel. Auch angesichts des Regierungswechsels in Warschau gebe es nun „große Perspektiven für die deutsch-polnische Zusammenarbeit in diesem Bereich, aber auch in anderen Bereichen“.

Rolf Nikel (links) und Dr. Andrzej Byrt (3. v. l.) mit der Journalistin Dr. Katarzyna Kownacka (3. v. r.) sowie Zuzanna Donath-Kasiura, Vizemarschallin der Woiwodschaft Oppeln (2. v. l.), Lucjan Dzumla, Direktor des Hauses der Deutsch Polnischen Zusammenarbeit (2. v. r.), und David Gregosz, Leiter des Warschauer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung (rechts)
Foto: Lucas Netter

Im Hinblick auf diese „Abrechnung“ mit den vergangenen Bundesregierungen in puncto Russlandpolitik, betonte Dr. Andrzej Byrt, dass Nikels Buch insbesondere auch von der noch regierenden PiS gelesen werden sollte, um deren antideutsche Rhetorik etwas abzuschwächen. Überhaupt ging der Wirtschaftswissenschaftler, der zwischen 1995 und 2001 Polnischer Botschafter in Deutschland war, auch mit seiner eigenen Regierung hart ins Gericht und kritisierte diese für das Torpedieren „all der großen Schritte“, die beide Nationen hinichtlich der Überwindung der Traumata der Vergangenheit und der damit einhergehenden Versöhnung bisher erreicht hätten. Die PiS habe die antideutsche Rhetorik genutzt, um alte Ressentiments wieder aufzuwärmen. Die nächste polnische Regierung stehe daher vor der Aufgabe, die deutsch-polnischen Beziehungen zu reparieren; man müsse den bilateralen Dialog wieder „sexy“ machen, unterstrich Andrzej Byrt.

„Die Welt ist komplizierter geworden“

Im weiteren Verlauf des Abends verlagerte sich die Diskussion etwas weg von Nikels Buch und den Eigentümlichkeiten der deutsch-polnischen Beziehungen hin zum anhaltenden Krieg in der Ukraine und den Rollen, die Deutschland und Polen zur Unterstützung des kriegsgeplagten Landes bereits einnehmen und weiterhin einnehmen können. Beide Botschafter a. D. plädierten für eine perspektivische Aufnahme der Ukraine in die Europäische Union – obwohl diese auch zahlreiche Probleme mit sich bringen würde, zum Beispiel beim Thema Landwirtschaft.

Mit Blick auf den kriegerischen Konflikt in der unmittelbaren Nachbarschaft der EU sowie auch auf die kürzlichen Terrorangriffe der Hamas und den Krieg in Israel und dem Gazastreifen, sagte Andrzej Byrt, dass die Welt komplizierter geworden sei. Aber gerade deshalb sei ein enger Austausch zwischen Deutschland und Polen notwendiger denn je.

Auf die Frage der Moderatorin, was die ehemaligen Diplomaten ihren jeweiligen Regierungen hinsichtlich der zukünftigen Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen raten würden, wurde von beiden Panelisten – neben der Intensivierung des Dialogs auf allen Ebenen – ein Aspekt besonders hervorgehoben: die Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks, unter Umständen auch unter der Einbindung Italiens.

Zum Ende wagte Andrzej Byrt dann noch eine Prognose zur Zukunft des deutsch-polnischen Verhältnisses: „Wir werden sicherlich weiterhin miteinander streiten, aber die Beziehungen werden sich zum Besseren entwickeln.“

Lucas Netter

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