Ende vergangener Woche (15. bis 16. Juni) fand in Grünberg in Schlesien die 16. Auflage der Deutsch-Polnischen Medientage statt. Im Fokus der Diskussionen standen diesmal der Krieg in der Ukraine, die Erfahrungen mit der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen, der Umgang mit russischer Desinformation sowie die ökologische Katastrophe in der Oder. Feierlicher Höhepunkt der Forums war die Verleihung des diesjährigen Deutsch-Polnischen Tadeusz-Mazowiecki-Journalistenpreises.
„Herzlich willkommen in der schönsten Region der Welt, herzlich willkommen im Lebuser Land“, begrüßte die Marschallin der Woiwodschaft Lebus, Elżbieta Polak, die zahlreichen deutschen, polnischen sowie ukrainischen Journalisten und Medienschaffenden, die sich im Theatersaal des Grünberger Regionalen Zentrums für Kulturanimation (Regionalne Centrum Animacji Kultury) eingefunden hatten. Die 16. Deutsch-Polnischen Medientage waren damit eröffnet. Bereits seit 2008 bringt das von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit organisierte Forum Journalisten und Medienexperten aus beiden Ländern zusammen und bietet eine professionelle Plattform für den gegenseitigen Austausch. In diesem Jahr drehte sich dabei (fast) alles um den anhaltenden Krieg in der Ukraine.
Lage der Kriegsflüchtlinge
In diesem Sinne startete der inhaltliche Teil der Medientage mit einer Diskussionsrunde unter der Leitfrage „Wie gehen wir mit dem Krieg in Europa um?“. Hierbei wurde von den vier Panelisten vor allem über die Situation der ukrainischen Flüchtlinge in Polen und Deutschland referiert.
Nora Ratzmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), berichtete, dass die Grundbedürfnisse der nach Deutschland geflüchteten Ukrainer seit Kriegsbeginn zwar befriedigt werden konnten (ein Dach über dem Kopf, finanzielle Unterstützung, Zugang zur Gesundheitsversorgung). Es gebe aber nach wie vor eine extreme Wohnungsmarktknappheit und Probleme mit der Bürokratie.
Über die Situation in Polen informierten Daria Lukianova, stellvertretende Leiterin der in Landsberg an der Warthe (Gorzów Wielkopolski) beheimateten Stiftung für die Integration und Entwicklung von Ausländern in Polen (Fundacja Integracji i Rozwoju Cudzoziemców w Polsce), sowie Olena Shelest-Szumilas, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Wirtschaftsuniversität in Posen (Poznań).
So betonte Daria Lukianova, dass ein Ende des Krieges noch nicht absehbar sei und man daher „die Koffer auspacken“ müsse, um ein neues Leben in Polen zu starten. „Wir sehen den Willen der Geflüchteten, aktiv zu werden. Sie möchten Teil der polnischen Gesellschaft sein. Wir müssen unsere ganzen Kräfte vereinen, um die Menschen zu unterstützen, die sich hier integrieren möchten“, appellierte Lukianova.
Olena Shelest-Szumilas berichtete, dass in Posen heute etwa 45.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine lebten, von denen 20 bis 40 Prozent dauerhaft in Polen bleiben wollten. Die Wissenschaftlerin zitierte eine Studie, nach der die Geflüchteten vor allem Hilfe beim Finden einer Arbeit und Wohnung sowie Zugang zur Gesundheitsversorgung und zu Polnischkursen bräuchten. „Die größten Probleme dieser Personengruppe hängen damit zusammen, dass viele von ihnen kein Polnisch können“, erklärte Olena Shelest-Szumilas.
Der deutsche Journalist Claus Christian Malzahn („Welt“-Gruppe des Axel-Springer-Verlags) wiederum warf einen breiteren Blick auf den Krieg in der Ukraine – und thematisierte die Rolle Deutschlands vor dem 24. Februar 2022. Nach dem Beginn der Invasion, so Malzahn, habe man feststellen müssen, dass Polen in den Jahren zuvor einen realistischen Blick auf Russland gehabt habe, während die Deutschen irrational-naiv gewesen seien. „Das ist nicht aufgearbeitet. Ich vermisse eine Debatte darüber, wie es dazu kommen konnte, dass wir uns von russischen Energieträgern so abhängig gemacht haben, dass unsere Bundeswehr nicht funktioniert“, unterstrich der Zeitungsjournalist.
Russischer Desinformation begegnen
Das zweite Panel des Tages wurde in Zusammenarbeit mit dem Warschauer Büro der Heinrich-Böll-Stiftung auf die Beine gestellt und widmete sich der russischen Desinformation. „In meinem Land wird für die Desinformationskampagnen Russlands mit dem Leben bezahlt“, warf der ukrainische Journalist Żenia Klimakin, Chefredakteur des Internetportals „Nowa Polschtscha“, gleich zu Beginn des Austauschs ein. Er vertrat zudem den Standpunkt, dass nicht jeder das Recht habe, seine Meinung zu äußern, „wenn es sich dabei um Lüge und Propaganda handelt“ – was natürlich Fragen nach der feinen Linie zur Zensur aufwerfe, wie die Moderatorin des Panels, die Leiterin des Böll-Büros in Warschau, Joanna Maria Stolarek, daraufhin anmerkte.
Peter Frey, deutscher Journalist und langjähriger Chefredakteur des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders ZDF, betonte, dass Desinformation keine Erfindung Russlands sei. Er warnte zugleich davor, „jedes Narrativ, das uns nicht gefällt, schon zur Desinformation zu erklären“. Als Strategie gegen Fake News gebe es eine „journalistische Grundtugend“, nämlich „Skepsis gegenüber jeglicher Information“. „Natürlich müssen wir skeptisch sein gegenüber den Informationen, den produzierten Bildern, die jetzt von Russland präsentiert werden und zum Teil auf sehr subtilem Weg über soziale Medien und andere Quellen zu uns reingespielt werden“, sagte Frey. Im Hinblick auf die deutsche „Zeitenwende“ im militärischen Bereich plädierte er zudem dafür, „den Gesellschaften die Zeit für die Veränderungsprozesse zu geben und nicht jede Langsamkeit, die sich in den Gesellschaften abspielt, als Resultat von Desinformationsprozessen darzustellen.“
Die Russland-Expertin Agnieszka Legucka, die am Polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten (Polski Instytut Spraw Międzynarodowych) in Warschau tätig ist, erklärte, dass Wladimir Putins Regime verschiedene Desinformationstechniken in Bezug auf den Westen (Schüren von Ängsten vor Wohlstandsverlusten), den Globalen Süden (Schüren von postkolonialen Ressentiments) und die eigenen Staatsbürger (Schüren von Ängsten vor dem Dritten Weltkrieg) anwende. Sie appellierte besonders an die oftmals desinteressierte Jugend: „Obwohl es euch belastet und ihr 1.000 andere Probleme habt: Fallt nicht in politische Apathie! Beteiligt euch!“ Es sei wichtig, sich bewusst zu sein, „dass unsere Freiheiten und Werte nicht für alle Zeit gegeben sind.“
Auszeichnungen für deutsche und polnische Journalisten
Nach einer weiteren Diskussionsrunde, die sich der Umweltkatastrophe in der Oder im Sommer 2022 widmete, fand am Abend des ersten Tages der Medientage noch die feierliche Verleihung des diesjährigen Deutsch-Polnischen Tadeusz-Mazowiecki-Journalistenpreises statt. In fünf Kategorien (Print, Hörfunk, Fernsehen, „Neue journalistische Formate“ und „Lokaljournalismus in der Grenzregion“) prämiert die Auszeichnung „die besten Beiträge, die über das jeweilige Nachbarland fair und offen berichtet haben und die im Vorjahr (…) erstmalig gedruckt, gesendet oder im Internet veröffentlicht wurden“, wie es auf der Webseite des Preises heißt.
Unter den Gästen der Verleihung im Lebuser Theater in Grünberg (Lubuski Teatr im. Leona Kruczkowskiego) war auch Dietmar Nietan, Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit. In einem kurzen Grußwort an die Versammelten hob der SPD-Bundestagsabgeordnete die Bedeutung von Pressefreiheit und Meinungsvielfalt für demokratische Gesellschaften hervor: „Immer dann, wenn die Demokratie in Gefahr gerät, kann man das daran sehen, dass die Regierenden kritische Stimmen versuchen mundtot zu machen – indem sie sie als Feinde des Landes darstellen, als Agenten eines anderen Landes, indem sie versuchen, auf die Meinungsbildung in den Medien Einfluss zu nehmen“, sagte Nietan – und fügte hinzu: „Diejenigen, die Angst davor haben, Rechenschaft abzulegen, die Angst davor haben, sich der Kritik zu stellen, wissen, dass der Transmissionsriemen für die verschiedenen Meinungen in einer offenen Gesellschaft immer auch freie Medien sind. Deshalb sind diese oft die ersten, die in den Fokus der Herrschenden geraten.“
Lucas Netter
Preisträger des Deutsch-Polnischen Tadeusz-Mazowiecki-Journalistenpreises 2023
Kategorie Print: Katarzyna Kojzar für den Beitrag „Der Fluss fließt und stirbt – Ist der Kampf um die Oder zum Scheitern verurteilt?“ (erschienen bei „OKO.press“)
Kategorie Hörfunk: Ernst-Ludwig von Aster und Anja Schrum für den Beitrag „Das Leben nach der Flucht – Ukrainerinnen und Ukrainer in Polen“ (gesendet im „Deutschlandfunk“ in der Sendung „Hintergrund“)
Kategorie Fernsehen: Arkadiusz Wierzuk für den Beitrag „Deutsche Dilemmata“ (gesendet bei „TVN24“ im Magazin „Czarno na białym“)
Kategorie „Neue journalistische Formate“: Redaktion der Sendung „Mensch Nachbar“ des „MDR Sachsen“ (Franziska Hentsch, Petr Kumpfe, Tomasz Sikora, Holger Lühmann, Peggy Wolter, Roman Nuck, Stefan Schmidt) für den Beitrag „Wege aus der Krise – Wie machen es die Nachbarn?“
Kategorie „Lokaljournalismus in der Grenzregion“: Mateusz Pojnar für den Beitrag „Die Geschichtsstunde an der Grenze“ (publiziert in der Wochenzeitung „Tygodnik Krąg“)