Am letzten Wochenende im Mai wurde bei der Evangelisch-Augsburgischen Gemeinde in Allenstein (Olsztyn) das 250-jährige Jubiläum des ersten evangelischen Gottesdienstes in der Stadt gefeiert. Ein Schwerpunkt lag dabei auf Freitag, dem 26. Mai, denn genau an diesem Tag versammelten sich im Jahr 1773 die ersten Gläubigen zu diesem Gottesdienst – und zwar in der Burg in Allenstein.
Nach den bekannten Quellen waren es damals etwa 200 Personen, die im Refektorium der Allensteiner Burg, dem heutigen großen Saal für Vorträge und andere Veranstaltungen des Museums von Ermland und Masuren, das in der Burg seinen Sitz hat, zusammenkamen. Den Gottesdienst zelebrierte ein Pfarrer Zach aus Hohenstein (Olsztynek). In der Burg fand das Ereignis deshalb statt, weil die Protestanten damals noch keine Kirche hatten.
Des einen Leid …
… ist des anderen Freud. Im Gegensatz etwa zu Neidenburg (Nidzica), wo die evangelische Gemeinde demnächst das 500-jährige Bestehen feiert, lag Allenstein nämlich nach der Säkularisierung des Deutschordensstaates 1525 im katholisch gebliebenen Fürstbistum Ermland, dessen Bischöfe keine protestantischen Ansiedlungen zuließen. Durch die Erste Teilung Polens im Jahr 1772 fiel das katholische Bistum Ermland – und damit auch Allenstein – ans protestantische Preußen. Ein Jahr später wurde dann der erste evangelische Gottesdienst in Allenstein gefeiert.
Den Beginn der evangelischen Gemeinde verlegt Pfarrer Łukasz Stachelek jedoch eher ins Jahr 1793, also zwanzig Jahre später. „Bis dahin fanden zwar regelmäßige Gottesdienste und Unterricht in der Burg statt, die Versammlung der Gläubigen hatte aber keinen eigenen Pfarrer“, so der jetzige Propst der Evangelisch-Augsburgischen Christus-Erlöser-Kirche bei der Burg. „Erst als Reinhold Hein am 6. Juni 1793 ordiniert wurde, wurde die Gemeinde formell von der Kirchenleitung in Königsberg anerkannt.“
Von der Burg ins Stadtzentrum
Interessant ist dieser erste Pfarrer auch wegen seiner Entdeckungen auf der Allensteiner Burg. Während die Veranstaltungen der Gemeinde sich überwiegend im Refektorium abspielten, dessen Boden damals übrigens noch um etwa einen Meter höher war – die beeindruckende jetzige Höhe der Gewölbe des großen Saals ist späteren Datums –, bewohnte Reinhold Hein die Räume daneben. Wie sich bei seinen Forschungen herausstellte, war einer der früheren Bewohner dieser Zimmer kein Geringerer als Nikolaus Kopernikus (1473–1543). Pfarrer Hein fand unter anderem Schriften und Geräte von Kopernikus und veröffentlichte Berichte zu diesen Funden.
Die fast 105 Jahre, die sich das evangelische Gemeindeleben auf der Allensteiner Burg abspielte, nahm am 26. Mai im großen Saal der Burg und gleichzeitig ersten evangelischen Kirche Allensteins Professor Andrzej Rzempołuch in seinem reich bebilderten Festvortrag unter die Lupe. Doch die Räumlichkeiten wurden zu eng, die evangelische Gemeinde bemühte sich – lange Zeit vergeblich – um den Bau einer eigenen Kirche. 1825 kaufte sie das Haus am Allensteiner Marktplatz (das bis heute das Pfarrhaus der Gemeinde beherbergt), acht Jahre später als Baugrund für eine Kirche die Parzelle zwischen Marktplatz und Burg.
In die Zukunft?
Erbaut wurde die heutige Evangelisch-Augsburgische Kirche aber erst 50 Jahre später, von 1876 bis 1877. Durch den Anschluss Allensteins an die Eisenbahn und die aus anderen Teilen des Deutschen Reiches zuwandernden Verwaltungsbeamten und Soldaten wuchs der Anteil der Protestanten in Ermland deutlich an. Für 1899 wird das Fassungsvermögen der Kirche mit 600 Personen angegeben, was aber damals bereits zu gering war. Die evangelische Gemeinde hatte vor dem Zweiten Weltkrieg nämlich etwa 14.000 Mitglieder in 121 Ortschaften und noch zwei weitere Gotteshäuser in Allenstein: die Garnisonskirche und die Kapelle auf dem evangelischen Friedhof. Heute sind es in der gesamten Diözese Masuren nur noch etwa 5.000 Gläubige.
In der Christus-Erlöser-Kirche fand am 27. Mai der Jubiläumsgottesdienst statt, am Abend folgte dort ein Konzert. Und ebenfalls dort klangen die Feierlichkeiten am Sonntag, den 28. Mai, mit dem regulären Gottesdienst aus.
Gerade das Konzert zeigte eine der Chancen auf, die die evangelische Gemeinde bei der geringen Zahl an Mitgliedern für die Zukunft hat. Dank der Kooperation mit dem Städtischen Kulturzentrum gibt es in der Kirche regelmäßig Veranstaltungen; mit der Stadt Allenstein arbeitete die Gemeinde beim Projekt „Park der Erinnerung Stadtmitte“ zusammen, und in Stabigotten (Stawiguda) gibt es im Kulturhaus, der früheren evangelischen Kapelle, alle paar Monate einen Gottesdienst – in solchen Netzwerken kann sie noch viele weitere Jahre für ihre Mitglieder und die Stadt Allenstein wirken.
Uwe Hahnkamp