Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Von Mühlen und Menschen

Es ist eine von „vielen ähnlichen nicht erzählten Geschichten“, so die Ankündigung der Veranstaltung, mit denen sich Burchard Dabinnus, Schauspieler und Regisseur aus München, beschäftigt: die Geschichte der Mühle der Familie Meyer in Bartenstein (Bartoszyce). Zu einer Begegnung mit Dabinnus hatten die Kulturgemeinschaft „Borussia“ in Allenstein (Fundacja Borussia Olsztyn) und das Kulturreferat des Landesmuseums Ostpreußen in Lüneburg ins Mendelsohnhaus in Allenstein (Olsztyn) eingeladen.

Es hätte keinen passenderen Ort geben können. Jüdische Familien- und Industriegeschichte präsentiert in einem besonderen Zeugnis der Kunst des jüdischen Architekten Erich Mendelsohn (1887–1953), der Vortrag eingerahmt mit jüdischer Musik. Zum Thema der Meyer-Mühle in Bartenstein kam Burchard Dabinnus über den Besuch von Billy Meyer bei seinen Eltern etwa im Jahr 2005 sowie aus 2014 gefundenen Dokumenten über den Kauf dieser Mühle durch seinen Großvater in den Unterlagen seines verstorbenen Vaters.

Jüdische Industriegeschichte unter jüdischer Architekturgeschichte – die Kuppel des Mendelsohnhauses in Allenstein
Foto: Uwe Hahnkamp

Vom wirtschaftlichen Fortschritt …

Die Anfänge der jüdischen Familie Meyer in Bartenstein reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück. „Ein Joseph Meyer übernahm 1850 die sogenannte Obermühle in Bartenstein, damals eine Wassermühle“, hat Burchard Dabinnus gemeinsam mit Mitgliedern der Familie Meyer herausgefunden. „Seine Söhne Louis und Isaac bauten die Mühle zu einem Industriekomplex aus.“

Burchard Dabinnus während seines Vortrags
Foto: Uwe Hahnkamp

Aus der nächsten Generation übernahm der studierte Ökonom Dr. Hans-Joseph Meyer als Mitgesellschafter und Geschäftsführer den Betrieb der Familie, der Anfang der 1930er-Jahre sein 50-jähriges Bestehen feiern konnte. Inzwischen umfasste dieser, wie eine Werbung der Mühlenwerke J. Meyer aus dieser Zeit zeigte, nicht nur das Mahlen von Mehl, sondern auch von Öl, und befasste sich darüber hinaus mit Futter- und Düngemitteln. Die Familie Meyer war also bis zu jener Zeit sehr wohlhabend und angesehen.

Eine alte Werbung für die Mühle der Familie Meyer
Foto: Uwe Hahnkamp

… zum schrittweisen gesellschaftlichen Ausschluss

Den Beginn der Veränderungen datierte Burchard Dabinnus auf die Ankunft des späteren Gauleiters Erich Koch (1896–1986) in Ostpreußen im Jahr 1928. Zuerst noch belächelt, brachte er vier Jahre später die enormen Stimmengewinne für die NSDAP zustande. Es folgten die Nürnberger Gesetze und verschiedene andere antisemitische Bestimmungen; darüber hinaus erweiterte Erich Koch seine Stiftung – im Grunde eine Sammlung von Firmen – mit allen Mitteln, auch über die sogenannte Arisierung.

„Wirtschaftlicher Druck erfolgte bei der Mühle der Familie Meyer über die sogenannte Kontingentierung, das heißt die Zuteilung von Getreide. Wenn nur noch ein Drittel zugeteilt wurde, war binnen kurzem die Firma nur noch ein Drittel wert“, schilderte Burchard Dabinnus als Beispiel das Vorgehen. Für einen möglichen Verkauf standen Erich Koch und „sein Handlanger, seine dreckige rechte Hand Bruno Dzubba“ (Zitat Dabinnus) schon in den Startlöchern. „Dieser Mann, der die Koch-Stiftung verwaltet hat und niemals belangt oder vor Gericht gestellt wurde, figurierte in einigen Briefen meines Großvaters Georg Dabinnus als ‚Onkel Bruno‘. Ich habe noch nicht herausgefunden, wie meine Familie zu ihm stand“, blickte er kritisch auf seine eigenen Verwandten.

Die Firma kaufen, um sie für die Familie zu erhalten?

Hans-Joseph Meyer jedenfalls versuchte die Arisierung über eine Verpachtung zu umgehen, die aber nicht zugelassen wurde, weil der Betrieb so weiterhin als jüdisch galt. Georg Dabinnus kannte die Familie Meyer schon lange, war bereits an der Pacht interessiert, stellte dann eine Finanzierung für einen Kauf auf die Beine und übernahm 75 Prozent der Anteile. „Wir wollen alle gern, dass unsere Großeltern immer die Guten waren, aber es gibt tatsächlich Aussagen, dass dahinter seine Hoffnung steckte, nach dem Zusammenbruch des Systems die Firma zurückgeben zu können“, mutmaßte Burchard Dabinnus. Nach Aussagen von Verwandten von Hans-Joseph Meyer, die im Exil den Holocaust überlebten, war er auch nach dem Verkauf lange als Berater in seiner Firma tätig und wurde sogar aus den Konzentrationslagern in Theresienstadt und Auschwitz zur Beratung angefordert, wo er später starb.

Das Mühlrad dreht sich weiter

Das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Vertreibung der Familie Dabinnus haben sämtliche Pläne und Hoffnungen durchkreuzt. Die Gebäude der Mühle der Familie Meyer in Bartenstein stehen zum Teil noch, etwa die Verwaltungsgebäude oder das Maschinenhaus. Aus der Familie haben einige Personen überlebt, ein Schwager von Hans-Joseph Meyer in London, eine andere Schwester in Stockholm. Vor allem aber die Söhne Werner und Ludwig, die der vorausschauende Industrielle in die Schweiz zur Schule geschickt hatte.

Zwei geflohene Familien – die jüdische und die deutsche
Foto: Uwe Hahnkamp

Deren Kinder wiederum und die Familie Dabinnus haben miteinander Kontakt aufgenommen, was in dem Projekt mit der Mühle in Bartenstein mündete. „Das Mühlrad dreht sich weiter“, schmunzelt Burchard Dabinnus traurig. „Als weiteren Schatz haben wir die Korrespondenz von 1936 bis 1943, zuletzt noch aus dem Lager in Theresienstadt, die sehr ergreifend ist – und trotz all des Fürchterlichen voller Humor.“ Es gibt also noch viele nicht erzählte Geschichten zu erzählen.

Uwe Hahnkamp

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