Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Ohne Ehrfurcht vor den Toten und der lokalen Vergangenheit

Am 19. Januar hat das Amtsgericht in Lyck (Ełk) den Pfarrer der katholischen Kirche in Neuendorf (Nowa Wieś Ełcka) der Zerstörung des alten evangelischen Friedhofs der Masuren des Dorfs für schuldig befunden und ihn dafür zu einer Geldstrafe von umgerechnet 2.000 Euro sowie einer Ausgleichszahlung von etwa 3.100 Euro zugunsten der Nationalen Stiftung für Denkmalschutz verurteilt. Dieselbe Strafe erhielt der Mann, der die Arbeiten auf dem Friedhof geleitet hatte.

Mit diesem Urteil, gegen das noch beim Bezirksgericht in Suwalken (Suwałki) Berufung eingelegt werden kann, setzte das Amtsgericht einen vorläufigen Schlusspunkt unter eines der unrühmlichsten Kapitel des Umgangs mit der lokalen und regionalen Geschichte des früheren Ostpreußen und der heutigen Woiwodschaft Ermland-Masuren.

Bewirtschaftung der eigenen Fläche?

Die Tat, um die es geht, spielte sich im Frühling 2021 ab. Freunde der lokalen Geschichte aus Lyck informierten im April darüber, dass auf dem Gelände des alten evangelischen Friedhofs in Neuendorf Bäume gefällt und eine Nivellierung des Terrains durchgeführt würde, die wegen des eingesetzten schweren Geräts alte masurische Gräber zerstören würde. Der Pfarrer sprach von einer „gezielten Hetzjagd“ und versicherte, die Gemeinde als Eigentümer habe das Recht, Platz für neue Grabstellen zu schaffen.

Zerstörungen der Gräber in NeuendorfFoto: Urszula Pasławska/facebook.com
Zerstörungen der Gräber in Neuendorf
Foto: Urszula Pasławska/facebook.com

Nach der Enthüllung der Tatsachen stellte der zuständige Denkmalschützer die Arbeiten ein und die Gemeinde Lyck eröffnete von Amts wegen ein Verfahren wegen illegalen Fällens von Bäumen. Im September 2021 erlegte die örtliche Kommune der Gemeinde des Heiligen Josef des Handwerkers in Neuendorf für das Fällen von 269 (!) Bäumen auf dem Friedhof ohne Genehmigung eine Strafe von umgerechnet über 420.000 Euro auf. Diese legte dagegen Berufung ein. Gleichzeitig wurde ein getrenntes strafrechtliches Verfahren gegen den Pfarrer und den Bauleiter eingeleitet, das jetzt endlich mit dem Urteil zu Ende ging.

Empörung polenweit und über die Grenzen hinaus

Obwohl dem Pfarrer „als Verwalter des Vermögens der Gemeinde bewusst war, dass die Fläche des alten Friedhofs unberührt bleiben sollte, hat er diesen Ort der Ruhe und die menschlichen Überreste geschändet“, wie es die Anklage formulierte. Gefällt wurden mehrere Dutzend Bäume mit Stammdurchmessern von 50 Zentimetern sowie mit schwerem Gerät ihre Wurzelstöcke entfernt. Daraus resultierten Zerstörungen und Schäden an Gräbern und Grabsteinen des in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts angelegten evangelischen Friedhofs mit besonderen Quartieren für Opfer des Ersten Weltkrieges. Dokumentiert wurden die Verwüstungen unter anderem von der einzigen protestantischen Abgeordneten im polnischen Sejm, Urszula Pasławska.

Urszula PasławskaFoto: Adrian Grycuk/wikimedia.org
Urszula Pasławska
Foto: Adrian Grycuk/wikimedia.org

Besondere Empörung und beinahe fassungsloses Entsetzen löste der Pfarrer dadurch aus, dass er ungerührt erklärte, er als Verwalter des einzigen Friedhofs des Dorfes habe Platz für neue Grabstellen schaffen müssen, das sei im Einvernehmen mit dem Gemeinderat, der Gemeinde und der Kurie in Lyck geschehen, und der Friedhof sei sowieso alt, überwachsen und seine Gräber seit Jahren von niemandem mehr gepflegt worden. Daher sei das doch nicht schlimm gewesen.

Unkenntnis, Dummheit, Absicht?

Die fehlende Pflege ist eine Folge der Emigration der Masuren, deren Vorfahren in den Gräbern, die 2021 zerstört wurden, geruht haben. Jener Masuren, die bis 1945 diese Gegend bewohnt hatten und nach dem Zweiten Weltkrieg wie andere ethnische Minderheiten von den kommunistischen Machthabern schikaniert wurden. Die Tat des Pfarrers sehen Freunde der Geschichte als Beweis, dass die komplizierte Geschichte Masurens nicht verstanden wird.

Die evangelischen Geistlichen, die sich als Vertreter der masurischen evangelischen Gemeinschaft verstehen, die seit Jahrhunderten in der Region lebt, brachten ihre Entrüstung über die Zerstörung des Friedhofs hingegen mit deutlichen Worten zum Ausdruck, die der Tat bewusste Absicht unterstellen: „Wir sind beunruhigt, dass solche Praktiken immer häufiger werden und darauf abzielen, die masurische und evangelische Geschichte dieser Erde vollständig zu zerstören und zermalmen. Besonderen Abscheu weckt die Tatsache, dass so menschliche Überreste behandelt werden, die unabhängig von Bekenntnis oder Nationalität besondere Achtung verdienen.“

Das Urteil ist gefällt, dem Friedhof und den Informationen zu Personen und Geschichte, die dort einmal zu finden waren, hilft es aber nichts mehr. Sie sind verloren.

Uwe Hahnkamp

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