Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Von Flucht und Frieden

Bei den Feiern zur Übergabe dreier Kirchenglocken an Kirchen in der heutigen Woiwodschaft Ermland-Masuren war auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann als prominentes Mitglied der Gruppe der Diözese Rottenburg-Stuttgart anwesend (wir berichteten). In Frauenburg (Frombork) kam es dabei zu einer länder-, regionen- und religionsübergreifenden Begegnung im Gedenken an die Flucht vieler Ostpreußen über das Frische Haff und in Hoffnung auf einen zukünftigen Frieden.

Die Friedensglocke wartete auf dem Domberg von Frauenburg auf die Andacht zu ihrer Übergabe. Die Stadtkirche St. Nikolai, die in ihrem etwa 700-jährigen Bestehen sogar schon ein Kesselhaus war und gerade zum Kulturzentrum mit einer Kapelle als sakralem Bereich umgebaut wird, sowie ihr erhaltener Turm, in dem die Glocke wieder läuten wird, stellten sich den neugierigen Blicken der polnischen und deutschen Gäste. Doch für die ewige Frage nach Krieg und Frieden gab es im Festprogramm noch einen weiteren Termin am Ufer des Frischen Haffs.

Die Toten der Kriege

Dort steht in der Mitte eines Kreisverkehrs seit 22 Jahren ein großer Findling mit einer Tafel, auf der es heißt: „450.000 ostpreußische Flüchtlinge flohen über Haff und Nehrung, gejagt vom unerbittlichen Krieg. Viele ertranken, andere starben in Eis und Schnee. Ihr Opfer mahnt zu Verständigung und Frieden.“

Die Tafel auf dem Findling in Frauenburg
Foto: Luis Schönecker

Wiktor Marek Leyk, der Beauftragte des Marschalls von Ermland-Masuren für Minderheitenfragen, Masure und Protestant, erinnerte an die Enthüllung des Steins: „Am 26. Mai 2001 ist es uns nach jahrelangen Bemühungen gelungen, neue deutsch-polnische Beziehungen einzuleiten, die wir auch in Zukunft pflegen werden.“ Der Stein symbolisiere für ihn das Leid der Zivilbevölkerung: „Zwischen Frieden und Krieg liegt nur ein Moment. Das haben meine Mutter am 1. September 1939 in Warschau und meine Tante am 20. Januar 1945 in Masuren erleben müssen“, so Leyk.

Ermländisch-katholisch und masurisch-evangelisch: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (rechts) mit Wiktor Marek Leyk, dem Beauftragten des Marschalls von Ermland-Masuren für Minderheitenfragen
Foto: Luis Schönecker

Die Seite der Ermländer und Katholiken vertrat Winfried Kretschmann. Auch seine Eltern, die aus Elbing (Elbląg) und Frauenburg stammten und im Winter 1945 in Braunsberg (Braniewo) gelebt hatten, mussten diesen schrecklichen Moment durchmachen. Zu Fuß über das zugefrorene Frische Haff, mit drei Kindern; das jüngste, Winrich, starb mit 11 Monaten an den Folgen der Flucht. So berichtete Ministerpräsident Kretschmann bewegt bei seiner Ansprache am Gedenkstein, in der er auf die polnischen Opfer nach dem Überfall 1939, die deutschen Opfer der Flucht 1945 und die heutigen Opfer in der Ukraine einging.

Mit Glocken in eine friedliche Zukunft

Doch zurücksehen allein reiche nicht, so der Politiker: „Wir müssen auch nach vorn sehen, auf eine immer bessere enge und friedliche Zusammenarbeit von Deutschen und Polen auf der Grundlage der gemeinsamen europäischen Werte.“ Die Rückgabe der drei Glocken ist für ihn ein deutliches Signal und geht ihm außerdem aus persönlichen Gründen sehr nahe: „Die Glocke, die wir in Frauenburg zurückgeben, hat vermutlich schon bei der Taufe meines Bruders Ulrich geläutet, und das bewegt einen in einem solchen Moment natürlich.“ Während der Andacht in Elbing war darüber hinaus die verbindende Kraft des Glaubens zu spüren.

Bischof Gebhard Fürst (Diözese Rottenburg-Stuttgart) (links) und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Denkmal für die Toten des Haffs in Frauenburg
Foto: Luis Schönecker

Das Verbindende und die Akzeptanz des Glockenprojekts betonten alle Beteiligten. Dieses sollte nach Meinung von Cornelia Pieper, der Generalkonsulin der Bundesrepublik Deutschland in Danzig (Gdańsk), die Winfried Kretschmann begleitete, kein Einzelfall bleiben: „Die ‚Friedensglocken für Europa‘ sind Vorbild für den weiteren Ausbau der deutsch-polnischen Beziehungen mit neuen Projekten aus Kirche und Zivilgesellschaft; und die Glocken werden in ihren ursprünglichen Kirchen für den Frieden läuten.“

Die Deutsche Generalkonsulin Cornelia Pieper mit Norbert Block von der Ermlandfamilie (links), Piotr Dukat von der Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit (2. v. l.) sowie einigen Geistlichen, darunter Domherr André Schmeier, der katholische Seelsorger der deutschen Minderheit in Ermland und Masuren (3. v. l.)
Foto: Luis Schönecker

Bis es so weit ist, wird es voraussichtlich noch einige Zeit dauern, was nicht am fehlenden Willen der Gemeinden und Kirchen als vielmehr an den baulichen Vorbereitungen für das Aufhängen der Glocken liegt. Wiktor Marek Leyk ist sich ganz sicher: „Noch schweigen die Glocken, aber bald werden sie nicht nur zu Messe und Gebet, sondern auch als Zeugen ihrer Zeit läuten.“

Uwe Hahnkamp

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