Anlässlich des Volkstrauertages veranstaltete der Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG) am 19. November in Oppeln eine ökumenische Andacht. Auch in anderen Teilen Schlesiens sowie in Ermland und Masuren wurden an diesem Tag entsprechende Gedenkzeremonien abgehalten.
Während die Andacht zum Volkstrauertag in Oppeln in den vergangenen Jahren immer in einem katholischen Gotteshaus stattfand, wurde sie in diesem Jahr erstmals bei der Evangelisch-Augsburgischen Kirchengemeinde ausgerichtet. Der Gastgeber, Pastor Wojciech Pracki, freute sich sichtlich, die etwa 30 Teilnehmer der Gedenkzeremonie in seiner Kirche begrüßen zu dürfen. Zusammen mit seinem Kollegen von der katholischen Kirche, Bischofsvikar Peter Tarlinski, leitete er die ökumenische Andacht, die musikalisch vom Organisten Hubert Prochota sowie dem Blasorchester „BSA Brass“ – das im Anschluss noch ein kurzes Konzert spielte – begleitet wurde.
Das Wagnis des Friedens
Im Laufe der Andacht sprachen die beiden Geistlichen gemeinsam das Totengedenken, in dem sie an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft erinnerten, aber auch die Hoffnung auf Versöhnung und Frieden unter den Menschen und Völkern äußerten.
Der Gedanke des Friedens kam auch in der Ansprache zum Ausdruck, die von Peter Tarlinski gehalten wurde. Darin erinnerte er zunächst an die Gefallenen der beiden Weltkriege sowie an die Toten und Verletzten der aktuellen Gewaltkonflikte, besonders an jene in der Ukraine, in Israel, in Gaza und im Westjordanland. „All das macht uns sehr traurig. Kriege haben nur Opfer zu beklagen. Der Friede ist wichtig – und der Friede hat die Kraft, Kriege zu vermeiden; der Friede hat die Kraft, mitmenschlich zu leben; der Friede hat die Kraft, die Zukunft zu gestalten“, betonte Tarlinski.
Er ging zudem auf das Friedensverständnis des lutherischen Theologen Dietrich Bonhoeffer ein, der am deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt war und am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet wurde: „Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Denn Friede muss gewagt werden, ist das eine große Wagnis, und lässt sich nie und nimmer sichern. Friede ist das Gegenteil von Sicherung. Sicherheiten fordern, heißt Misstrauen haben, und dieses Misstrauen gebiert wiederum Krieg“, zitierte Tarlinski aus der berühmten „Friedensrede“ (1934) des gebürtigen Breslauers Bonhoeffer. Der Friede könne nicht durch politische Verträge entstehen, nicht durch Großbanken und Geld, nicht durch militärische Aufrüstung. Friede entstehe vielmehr „aus dem Glauben und dem Gehorsam gegenüber dem allmächtigen Gott und seinen Geboten“, gab Tarlinski Bonhoeffers Worte wieder.
Der Bischofsvikar schloss seine Predigt mit den Worten: „Wir sind dazu aufgerufen, den Frieden zu pflegen, nicht ängstlich zu sein und nicht zu verzagen.“ Der Friede müsse „in uns selbst und um uns herum geschaffen werden – in unseren Familien, den Pfarrgemeinden, in unserer Region, im Lande, in Europa. Wichtig ist, auf die innere Stimme Gottes zu hören und ihr nachzufolgen. Gott gibt uns die Kraft und die Sicherheit, Menschen des Friedens zu sein.“
Unter den Teilnehmern der Andacht waren auch der Deutsche Konsul in Oppeln, Peter Herr, sowie der VdG-Vorsitzende Rafał Bartek. Letzterer äußerte sich am Rande der Veranstaltung zur Bedeutung des Volkstrauertages für die deutsche Minderheit in Polen: „Der Volkstrauertag ruft uns die gemeinsame Geschichte in unseren Regionen, in Schlesien und im früheren Ostpreußen, in Erinnerung. Denn beide Weltkriege betrafen – unabhängig von der Nationalität – Millionen von Menschen. Deshalb versuchen wir als deutsche Minderheit, diesen Gedenktag stärker ins Bewusstsein zu rücken“, so Bartek.
Gedenken auch in Ermland und Masuren
Parallel zu der Andacht in Oppeln fanden auch in anderen Teilen der Woiwodschaft Gedenkzeremonien zum Volkstrauertag statt. So kam die deutsche Minderheit in Groß Borek (Borki Wielkie) am Gefallenendenkmal vor der örtlichen Franziskanerkirche zusammen, um an die Kriegstoten zu erinnern. Am Gefallenendenkmal in Gieraltowitz (Gierałtowice) in der Gemeinde Reinschdorf (Reńska Wieś) fand ebenfalls ein entsprechendes Treffen statt, das vom Reinschdorfer Gemeindevorstand sowie dem Deutschen Freundschaftskreis in Langlieben (Długomiłowice) organisiert worden war.
Das Denkmal in Gieraltowitz erinnert an die im Ersten Weltkrieg gefallenen Einwohner der Gemeinde. Bei dem Treffen waren etwa 20 Personen anwesend; auf der Trompete spielte Basia Weinkopf vom Orchester in Nesselwitz (Pokrzywnica). Nach der Einführung durch Tomasz Kandziora, dem Vorsitzenden des Gemeindevorstands der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schlesien, wurde der zweite, geistliche Teil des Treffens von Pfarrer Adam Rybold geleitet. Am Ende wurden Blumen niedergelegt und Kerzen entzündet, um der Gefallenen und Opfer aller Kriege und Totalitarismen zu gedenken – vor allem derjenigen, die ihre letzte Ruhestätte nicht in ihrer Heimat gefunden haben.
„In der Gemeinde haben wir solche Denkmäler in zwölf von 15 Ortschaften, und wir versuchen jedes Jahr während des Volkstrauertages eines davon zu besuchen“, sagt Tomasz Kandziora, der auch Bürgermeister der Gemeinde Reinschdorf ist. „Dies ist unser Ausdruck der Erinnerung und des Respekts für diejenigen, die infolge von Krieg oder Verfolgung ums Leben kamen, unabhängig davon, auf welcher Seite des Konflikts sie standen“, fügt er hinzu.
In der Woiwodschaft Schlesien hatten die Kreisverbände Beuthen und Kattowitz des Deutschen Freundschaftskreises im Bezirk Schlesien nach Siemianowitz-Laurahütte auf den dortigen Soldatenfriedhof eingeladen. Die deutsche Minderheit in Stollarzowitz (Stolarzowice) versammelte sich wiederum in der örtlichen Christ-König-Kirche und gedachte dort der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.
Das Innehalten der deutschen Minderheit in Polen zum diesjährigen Volkstrauertag beschränkte sich jedoch nicht nur auf Schlesien: Auch in Ermland und Masuren, genauer gesagt auf dem Ehrenfriedhof am Jakobsberg in Allenstein (Olsztyn), fand eine Zeremonie statt, wie immer organisiert von der Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit (AGDM).
Zentrale Gedenkstunde in Deutschland
Am frühen Nachmittag des Volkstrauertages fand auch im Deutschen Bundestag in Berlin die jährliche Zentrale Gedenkstunde des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge statt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach dabei das traditionelle Totengedenken. Den Schwerpunkt bildete in diesem Jahr – neben der Vielzahl der Konflikte der Gegenwart – die deutsch-schwedische Freundschaft. In diesem Sinne wurde die Gedenkrede von Kronprinzessin Victoria von Schweden gehalten. Diese bezeichnete ihre Gefühle für Deutschland als „innig und tief“ und erinnerte an die vielfältigen und weit in die Geschichte zurückreichenden Beziehungen zwischen Deutschland und Schweden, die nicht immer friedlich gewesen seien. „Daran sollten wir uns mit Demut erinnern“, mahnte sie.
Mit Blick auf die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten sagte die Kronprinzessin, die eine deutsche Mutter hat und ihre Rede auf Deutsch hielt: „Die Menschheit steht vor Herausforderungen, die immer schwieriger und dringlicher werden. Die Stimmung in der Welt ist so eisig wie seit Langem nicht mehr.“
Sie rief dazu auf, niemals die Lehren aus den Schrecken von Krieg und Tyrannei zu vergessen und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig gelang es der Tochter des schwedischen Königs Carl XVI. Gustaf, Zuversicht zu verbreiten: „Es ist eine Quelle der Hoffnung, dass die Regierungen und Völker im demokratischen Europa in einer schweren Zeit zusammenhalten. Die deutsche Erfahrung zeigt, dass es möglich ist, selbst die dunkelste Vergangenheit zu überwinden.“
Lucas Netter